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Kriegsnöte haben bei diesen in die literarhistorische Kontinuität einschneiden-
denVorreiterInneneinevonSkepsisdurchdrungene„Anschauungskraft vonder
Welt“251wachsenlassen:„DagabesallepaarJahreneueGötterundneueVerbre-
cher, neue Gesetze und neue Fahnen, neue Schwüre und neue Schulbücher –
lauter ‚absolute‘Werte,diesichsogarnichtalsbeständigerwiesen“252, soEisen-
reich.Wie inLebertsDieWolfshauterscheintÖsterreichbeiThomasBernhardals
„Lande derAnstreichermeister“, in dem „dauerndübertüncht und frisch gestri-
chen“253 wird. Kinder bezeugen, „mit welch taschenspielerischer Hurtigkeit“
mandie„nazibrauneFarbemitaltösterreichischkatholischemTiefschwarzüber-
malte“254, kommentiert JeanAméryBernhards autobiographischesWerkDieUr-
sache. Eine Andeutung. Den plötzlichenWandel der Erziehungsmethoden nach
1945 imInternat reflektierendarindiebelassenenWände:„DerganzeRaumwar
nicht einmal ausgemaltworden, dafür fehlte es offensichtlich anGeld, dennwo
jetzt das Kreuz hing, war noch der auf der grauenWandfläche auffallendweiß
gebliebeneFleckzusehen,aufwelchemjahrelangdasHitlerbildhing.“255
Das Aufdecken ist teils unausgesprochene, teils ausdrückliche (cf. Kap. 6.4)
ProgrammatikdieserAutorInnen, diemit ihrenPorträts vonGrenzsituationender
littératureengagée inderenAbsichtdesEnthüllensnahestehen.SokommtdieGer-
manistinDaniela Strigl imHinblick auf die AutorenWalter Buchebner, Hans Le-
bert und Andreas Okopenko zu dem Ergebnis: „Gerade die existentialistische
LiteraturderNachkriegszeit zeigt jedenfalls,daßinÖsterreichkeineswegs flächen-
deckend vergessen und verdrängt wurde.“256 Durch die Überschneidung dieser
SchriftstellerInnen-Generation, die denKrieg in jungen Jahrenmiterlebt, und der
existentialistischenSubkultur (als zugleicherstegegenden „KonsensdesSchwei-
gens über die politische Vergangenheit“257 opponierende Gruppe), werden auch
Darstellungen vonVerzweiflung,Hoffnungslosigkeit undVerlassenheit, diemehr
derZeitalsdemEinflussdesExistentialismusgeschuldetsind,oftmitdemAttribut
‚existentialistisch‘bedacht.
251 Bernhard:DieKultur istnichtstehengeblieben!,S. 142.
252 Eisenreich:WorinbestehtderUnterschied?,S.35.
253 Lebert:DieWolfshaut,S. 387.
254 JeanAméry:MorbusAustriacus. Bemerkungen zuThomasBernhards „DieUrsache“und
„Korrektur“. In:Merkur30(1976),Nr. 1,S.91–94,hierS.94.
255 Thomas Bernhard: Die Ursache. Eine Andeutung. In: Bernhard: Die Autobiographie. St.
Pölten,Salzburg2011,S. 76.
256 Strigl:MarlenHaushofersExistentialismus,S. 133.
257 Krüger:VielLärmumsNichts?,S. 268.
6.3 LiteraturunterdemGalgen:Grenzsituationen 195
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur