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ßertsichHandkedannunmissverständlichgegenAutorInnen,die„kritiklosdie lite-
rarischen Formen jener Gesellschaft verwenden werden, die sie zu kritisieren
glauben“:
Ichselberbinnichtengagiert,wennichschreibe. Ich interessieremichfürdiesogenannte
Wirklichkeit nicht,wenn ich schreibe. Sie störtmich.Wenn ich schreibe, interessiere ich
michnur für die Sprache […]. Eswäremirwiderlich,meineKritik aneinerGesellschafts-
ordnung in eineGeschichte zu verdrehenoder in einGedicht zu ästhetisieren.Das finde
ich die scheußlichste Verlogenheit: sein Engagement zu einemGedicht zu verarbeiten,
Literaturdarauszumachen,stattesgeradeherauszusagen.335
Engagement zuGedichten zu verarbeiten, sieht auch Sartre nicht vor, allerdings
weildieGattungderLyrik seinerAnsichtnachWortealsDingeundnicht als Zei-
chenbehandelt,womit sie derMöglichkeit, auf etwas ihrÄußerliches zu verwei-
sen,unddamit einer enthüllendenQualität entbehre.336Behauptenauchmanche
DichterInnen nicht ohne Provokation, unter ihnenBachmann, das Gedicht habe
„keine Funktion und kümmert mit Recht niemand“337, gießen andere entspre-
chende poetologischeÜberlegungen zumEngagement in Gedichtform, so die an
sicheheranti-existentialistischeingestellte JeannieEbner in„Entscheidung“:
Totzusein isteinZustand,
lebendigzusein isteinWerk,dasunsereEntschließungbeansprucht.
Hiernur istesunsmöglich,dasUnsrezutun,
dortnur–zusein.338
Dass Lyrik sichnicht auf den,wie Sartre formuliert,Moment desDurchatmens
und der Rückkehr zu sich („le moment de respiration où l’on revient sur
soi“339) beschränkt und durchaus über kommunikative Eigenschaften verfügt,
lässt Alfred Andersch im Gedicht „Andererseits“wissen, einer Hommage an
Sartre, in deren dreigeteilter Strukturman laut Feindt denAufbau von Sartres
Qu’est-ce que la littérature? („[q]u’est-ce qu’écrire?“, „[p]ourquoi écrire?“, „[p]our
335 PeterHandke:Wennichschreibe. In:Akzente13 (1966),Nr. 5,S.467.
336 Cf.Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 13–44.
337 Ingeborg Bachmann: [Wozu Gedichte?]. In: Bachmann: Werke, Bd. 4, S. 303–304, hier
S. 303. Hermann Korte sieht gerade in Bachmanns erstem Gedichtband Die gestundete Zeit
(1953) „Spuren der Auseinandersetzungmit Jean-Paul Sartre und Albert Camus“, konkret in
ihrer „Poetik der Erinnerung an Gewalterfahrungen“, verbunden „mit appellativer Zeitkritik
undeinemexistenzialistischgefärbtenGestusdesWiderstandsgegenrestaurativeEntwicklun-
gen“.Korte:ÖsterreichischeLiteraturderGegenwart.Stuttgart 2016,S.36.
338 JeannieEbner:Entscheidung. In:TüranTür.DieneueFolge, 1951,S. 153.
339 Jean-PaulSartre: L’Écrivainet sa langue. [InterviewmitPierreVerstraeten.] In: Sartre: Si-
tuations IX,S.40–82,hierS.61. [Zuerst in:Revued’Esthétique3/4, 1965.]
6.4 LittératureengagéezwischenSprachskepsisundEngagement 211
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur