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falscheNamenerweisen.DerWiderspruchzwischendem,wasderNamesagt, und
dem,was ist,wirdunüberwindlich.“408
Eine Reihe von SchriftstellerInnen, unter ihnen Ilse Aichinger, leisten ab
den späten 1940er Jahren mit einer „Tendenz zum Sprachexperiment“ einen
Beitrag „zur skeptischen Infragestellung der Sprache selbst“ (in Aichingers
Prosakommendurchdie„groteskenElementeunddieexistenzialistischenMo-
tive“ sowie„dieAnklängeanKafka“zusätzlichnochdieanderen„literarischen
Parallelphänomene der Nachkriegszeit“409 zusammen). Bachmann fordert als
Pionierinmit radikal poetischenMitteln („par desmoyens radicalement poéti-
ques“410) ebenfalls die Schattenseiten des sprachlichen Status quo heraus,
wobeisichauch ihreBemühungeninnerhalbdesSystemsbewegen:
DennwerdieRegelngutheißtundindasSpieleintritt,wirftdenBallnichtübersSpielfeld
hinaus.DasSpielfeld ist dieSprache,undseineGrenzensinddieGrenzender fraglosge-
schauten, der enthüllt und genau gedachten, der im Schmerz erfahrenen und imGlück
gelobtenundgerühmtenWelt.411
SichandieSpracheklammerndundSartresAufbauwillen(„il fautconstruire“412)
folgend, übt in JeanAmérys Essay-Roman Lefeu oderDerAbbruch (1974) die
Hauptfigur,derMalerLefeu,Kritikanderalsdestruktivempfundenenavant-
gardistischenPraxisderGegenwartsliteratur.Diese repräsentiertdasGedicht
„Pappelallee“ seiner Geliebten Irene, die damit „in gewaltsamzerhämmerten
Sprachtrümmern blind herumtastet“: „Sie dichtet: Pappelalle, Pappelallee, alle
Pappeln, Pappelnalle, Plapperpappel, Geplapper, Geplapper. Es kannnichts ge-
deihenauf dieseWeise.“413 Lefeu, aufWittgensteinschenPfaden, hängt „ander
Realität und ihrerAussagbarkeit“,manmüsse „strengamSinndes Satzes haften
408 HerbertMarcuse: KonterrevolutionundRevolte. Frankfurt amMain 1972, S. 120 (Hervor-
hebung imOriginal).
409Walter Erhart: Erzählen zu keiner Stunde. Ilse Aichingers Experimente mit kalten und
heißen Gesellschaften. In: Text+Kritik 2007, Nr. 175 („Ilse Aichinger“), S. 29–41, hier S. 30.
Aichinger gelingtmitDie größereHoffnung (1948) ein „Neuentwurf vonSprache, Bildern und
Begriffsbestimmungen“, umnicht nur das Erleben jüdischer Kinder vor der Deportation „be-
schreibbar“ zumachen, sondern auch „der vomNationalsozialismus geschändeten Sprache
die Qualität als Verständigungsmittel zurückzuerobern beziehungsweise neu zu erfinden“.
EvelynePolt-Heinzl:DerKalteKrieg schreibt Literaturgeschichte oderderMythos vom langen
Schweigen der Literatur zum Nationalsozialismus. In: Hansel und Rohrwasser (Hg.): Kalter
Krieg inÖsterreich,S. 123–137,hierS. 135.
410 Elfriede Jelinek: LaGuerre par d’autresmoyens. Französisch vonYasminHoffmannund
MaryvonneLitaize. In:europe81 (2003),Nr.892–893,S. 190–198,hierS. 191.
411 Bachmann: [WozuGedichte?],S. 304.
412 Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S. 281.
413 Améry:LefeuoderDerAbbruch,S.8.
6.4 LittératureengagéezwischenSprachskepsisundEngagement 223
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur