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Wirkung“derLiteratur, „das engagierte SchreibenwardieunerbittlicheForde-
rungunddasKriteriumwasgut oder schlecht sei.“444 In seinenKreisenwurde
nach Eisendles Angaben Literatur klassenkämpferisch „in eine politische und
gesellschaftlicheSchlüsselrolle gezwängt“, bloß, somusstemanwie auchSar-
tre schließlicheinsehen,„interessierteeskaumdieArbeiter, sondernbestätigte
sich ineinerGesinnungsgebärde füreinigewenige“:
DerKampfderArbeitermussbewaffnetwerden, sagtenwirgerneundschlürftenamBier.
Die Arbeiter wussten nichts von unserer Sympathie zu ihnen. Diese Art zu denken, zu
schreibenundLiteratur herzustellen,wurdebald als Kopfliteratur, Intellektuellenonanie
undHirnprosa,Reflexionsterrordiffamiert.445
AuchOkopenko, der sich imHinblick auf die enthüllendeAufgabe vonLitera-
tur als „immer engagiert“ empfindet und Engagement allgemein definiert als
„Einsatz künstlerischer Mittel für Anliegen außerhalb der Kunst“, blickt
ernüchtert auf die Beschränkungen dieser Jahre: „Die späten sechziger Jahre
blendeten uns, indem sie nur den Einsatz für die Emanzipation der Arbeiter-
klasse […] als Engagement gelten ließen.“446 Dass das österreichische 1968er-
Engagement insgesamt „weit weniger politisiert und radikal“ ausfällt als in
Frankreich oder Deutschland,447 hat seine Ursache Braunsperger zufolge zum
einen „in der verzögerten Vergangenheitsbewältigung, zum anderen im noch
nicht abgeschlossenen Prozess der österreichischen Identitätsfindung, vor die
die Zweite Republik nachKriegsende gestelltwar.“448Vor diesemHintergrund
erschließt sich das vermehrteAufrufen Sartres unddasAufblühen einer enga-
giertenLiteraturknappzwanzig JahrespätermitdemöffentlichenDiskursüber
die nationalsozialistische Vergangenheit des Landes im Zuge der „Waldheim-
Affäre“ (umdie InvolvierungdesWehrmachtsoffiziersundspäterenBundesprä-
sidenten Kurt Waldheim in nationalsozialistische Kriegsverbrechen) und der
WahlerfolgederRechtspopulistInnen.Wesentlichbeteiligtdurch ihre literarische
444 Eisendle:Dreißig Jahredanach.
445 Eisendle:Dreißig Jahredanach.
446 Okopenko:Engagement,S. 226, 228 (Hervorhebung imOriginal).
447 Ins Zentrum der bundesdeutschen Aufmerksamkeit gerät Sartre erneut, als er Andreas
Baaderam4.Dezember 1974 inStammheimbesucht, umsicheinBildvondenalsunmensch-
lich beschriebenen und vonHungerstreiks begleitetenHaftbedingungen zumachen,worauf-
hin er in den Medien, die erst 2013 volle Einsicht in die von Uneinigkeit und Distanz
zeugendenGesprächsaktenerhalten,alsSympathisantderRAFstarkangegriffenwurde.
448 Gudrun Braunsperger: Studentenbewegung in Österreich. In: Benedikt et al. (Hg.): Ver-
drängterHumanismus,S.860–863,hierS.861.
228 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur