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Von fachphilosophischer Seite schlägt den „Kaffeehaus- und Nachtlokalexis-
tentialisten“34 inÖsterreichVerständnislosigkeit entgegen, ihremOberhaupt–
dessen Leben „von öffentlichem Interesse wie etwa das eines Sokrates oder
eines–Filmstars“35 ist–aprioriderVorwurfderUnwissenschaftlichkeit.
Diesen Eindruck bestärkt der als „gedankenlose und sensationelle Rheto-
rik“36 empfundeneKurzvortragL’Existentialismeestunhumanisme (cf.Kap.4.3),
der besonders dennicht-frankophonenPhilosophInnen zunächst als Grundlage
dienen muss, da Sartres phänomenologische Ontologie L’Être et le Néant erst
1952 ins Deutsche übersetzt wird.37 Nachdem letzteresWerk in Frankreich 1943
„fastunbemerkt“erscheint,wirdesnachdemKrieg„erregtdiskutiert“38, jedoch
ebenfallsnichtmitdergebotenenWissenschaftlichkeit,wieBeauvoirbemängelt;
keinseriösesWerknehmesichSartresBuchesan („[a]ucunouvrage sérieuxn’a-
vait étéécrit surL’Êtreet leNéantmaisdéjàdansdes revues,descours,descon-
férences, lesbien-pensants l’attaquaient“39).WährendinParisdieübleNachrede
kursiert, dass es „sichdarumsogut verkaufe,weil dieAusgabe genau einKilo-
gramm wiege und daher von den Fischhändlern gerne als Gewicht benutzt
würde“40, bestätigtManèsSperber: dasBuch „war inallerMunde,doch fandes
weitmehrKäufer als Leser, obschonbeinahe jeder Intelligenzler vorgab, es von
dererstenbiszur letztenZeile ‚verschlungen‘zuhaben“41. ImTagebuch teilt 1953
Karl Benedek seinenEindruck, dass SartresWerk ähnlich inÖsterreich „in aller
34 Fischl: Idealismus, Realismus und Existentialismus der Gegenwart, S. 315. Dabei sollten
dieRäumlichkeitenkeinesfalls aufmangelndeSeriosität schließen lassen,meintVietta:„Aber
er [Sartre] sucht nicht die Caféhausluft, in der einst die bestrickendenWienerMenschlichkei-
ten Peter Altenbergs niedergeschriebenworden sind. Er verpflanzt die scharfe Luft von Sils
Maria indasCafé,–unddas zeigt, daßhier etwasFundamentalesmit undandemMenschen
geschehen ist. Sein Café ist– die Gesellschaft, denn dieser Sokrates diskutiert öffentlichmit
jedermann.“EgonVietta: Theologie ohneGott. Versuchüber diemenschlicheExistenz inder
modernenfranzösischenPhilosophie.Zürich1946,S. 12.
35 o.V.:Die französischeDichtungderGegenwart. In:Weltpresse, 21.02.1946.
36 ErichHeintel: JeanPaulSartresatheistischerHumanismus. In:WienerZeitschrift fürPhilo-
sophie,Psychologie,Paedagogik2 (1948),Nr. 2,September1948,S. 2–41,hierS.39.
37 DieseÜbersetzung von Justus Streller umfasst circa zwei Drittel des Originals, die fehlen-
denKapitelergänzen1962AlexaWagnerundKarlAugustOtt.
38 VanRossum:VonderRettungslosigkeitdesMenschen. In:DieZeit,07.02.1992.
39 Beauvoir:LaForcedeschoses,Bd. 1,S.66.
40 Michael Rohrwasser: Kleines Lexikon der anderen Verwendungsformen des Buches. In:
Eder, Kobenter und Plener (Hg.): Seitenweise. Was das Buch ist. Wien 2010, S. 53–78, hier
S.63.
41 Sperber:NureineBrückezwischenGesternundMorgen,S.40.
238 7 DiePhilosophiedesExistentialismus inForschung,LehreundKritik
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur