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Munde“war:„Mankannaberwohlkaumsagen,daßSartrehierebensovielgele-
senwiebesprochenwordenist“42.
Außer Zweifel steht für das Besatzungsbulletin Kulturelles, dass das von
Klischeesbegleitete„Mode-Interesse“anSartre„vomrichtigenVerständnis sei-
nes Werkes“43 ablenkt, andererseits ließe es sich nicht nur als Verzögerung,
sondern auchalsVoraussetzung einer ernsthaftenRezeption sehen.Der Philo-
sophie-Professor LeoGabriel, der die akademische Existentialismus-Aufnahme
inWien in Gang bringt, weiß, dass „eine Philosophie als solche erst dann zu
wirkenbeginnt,wennsie ausderModegekommen ist,wennsiedieSensation,
die sie hervorrief, überstanden hat“44. Nichtsdestoweniger bleibt, als um 1953
„die existentialistischeModewieder imAbklingen ist“45, vor allemdie Sartre-
schePersonalunionvonDichterundPhilosophproblematisch imuniversitären
Rahmen,wodieTatsache,„daßdiephilosophischenFragen indieRomaneab-
zuwandernbeginnen“46,weiterhin irritiert.
DasVerhältnis vonLiteraturundPhilosophiebeschäftigt Sartre vonseinen
frühesten Aufsätzen bis an sein Lebensende in Gestalt von Überlegungen, in-
wieweit sichPhilosophie literarischausdrückenkann,47obsie selbst trotz ihrer
Fachspracheeineversteckte literarischeProsa,eineMehrdeutigkeitderBegriffe
aufweist („uneprose littéraire cachée,uneambiguïtédes termes“), oderwieLi-
teratur das Philosophische unbewusst verdichtet („condensée, et non consci-
entedesoi“48).Fest steht:Alles,waser jegeschriebenhabe,
ist zugleichPhilosophieundLiteratur, sie steheneinandernicht gegenüber, sondern jedes
einzelneElement ist zugleich literarischundphilosophisch, indenRomanenebensowie in
derKritik.Doch, esgabzweiWerke reinerPhilosophie:DasSeinunddasNichtsundKritik
derdialektischenVernunft,aberdas isteinwenigaußerhalbdessen,was ichgerntue.49
42 KarlM.Benedek:Zweimal JeanPaulSartre. In:Tagebuch,03.01.1953.
43 o.V.:PolemikumJean-PaulSartre. In:Kulturelles,02.02.1948.
44 LeoGabriel: Existenzphilosophie:Kierkegaard,Heidegger, Jaspers,Sartre.DialogderPosi-
tionen. Wien 1968, S. 7. Ähnlich verhält es sichmit der „American fascination with French
existentialism“,welchedankder„predominanceof thecelebrity inmodernAmericanculture“
alsMixtur von „fashion and idea“weiteVerbreitung findet. Es dauert dadurch annähernd 20
Jahre, bis der Existentialismus als „a viable philosophy“ anerkannt wird. George Cotkin:
French ExistentialismandAmericanPopular Culture, 1945–1948. In: TheHistorian 61 (1999),
Nr. 2,S. 327–339,hierS.327–329.
45 Benedek:Zweimal JeanPaulSartre. In:Tagebuch,03.01.1953.
46 Fischl: Idealismus,RealismusundExistentialismusderGegenwart,S. 320.
47 Cf.Sartre:Autoportraitàsoixante-dixans,S. 137ff.
48 Sartre:L’Écrivainet sa langue,S.71.
49 Jean-Paul Sartre und Michel Sicard: Entretien. L’écriture et la publication. In: Obliques
1979,Nr. 18–19,S.9–29,hierS. 29 (Hervorhebung imOriginal). [Übers.d.Verf.]
7.1 Wegedes Intellektuellen.SartrezwischendenDisziplinen 239
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur