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ter und spekuliert 1952 in seiner StudieWidersprüche in dermenschlichen Exis-
tenz, dassman inSartres Kreisen vomScheitern schreibt,weilman selbst nicht
andieumfassendeSelbstschaffungglaubenkann, imWissen,
daßderMenschmehr ist als nur das,was er tut, daß er nicht tun kann,was erwill, um
seinbestes Selbst zu sein. Es ist daher kein Zufall, daßausder Schule Sartres selbstUn-
tersuchungen dermenschlichen Existenz hervorgehen, die klar zeigen, daß seineWirk-
lichkeitsbetrachtungnichtbefriedigt.152
Potentiell drastische Folgen des Existentialismus-Transfers – der wie jeder
Transfer „die gegebenen Interpretationsformen verändert unddadurch die be-
stehendenOrdnungen,Abstände, Einteilungen inFrage stellt und variiert“153–
befürchtetFischl, zumalderEinflussderStrömung inEuropa„ein sehrbeacht-
licher“sei:
Woher kommt dieser Einfluß? Daher, daß er ausspricht, was Millionen von Menschen
heute empfinden.Wir fühlenuns in unserenEntscheidungen einsamundverlassen. Zu-
fälle geben unserem Leben eine ganz neueWendung, die wir nicht gewollt haben. Es
zeigt sichheutezumBeispiel,daßesabsurdwar,einerParteibeizutreten, fürdieZukunft
kannabermöglicherwiesedasGegenteil absurd sein.Wie solltenwir unsverhalten?Sar-
tre antwortet uns: Tue,wasduwillst! Entscheidedichnur ausFreiheit und stehe zudei-
ner Tat! Nimmdas ganze Lebennicht allzuwichtig: das Leben ist absurd. So löst er die
ernste Frage nach demSinndes Lebensmit der Frivolität des Franzosen: „So kommt es
auf das gleichehinaus, obman sich im stillenbetrinkt oder obmanFührer vonVölkern
ist.“154
Diese„FreiheitderWillkür“155,dieTatsache,dass„allesmenschlicheTungleich-
wertig ist“156, so Sartres einstiger SchülerMaximeChastaing inWort undWahr-
heit, sorgt auf christlicher Seite durchgehend für Irritationen. Die aus der
152 JohannesMessner:Widersprüche indermenschlichenExistenz.Tatsachen,Verhängnisse,
Hoffnungen. Innsbruck,Wien,München1952,S. 213f.
153 Suppanz:Transfer,Zirkulation,Blockierung,S. 25.
154 Fischl: Idealismus, Realismus und Existentialismus der Gegenwart, S. 315. Cf. Sartre:
L’Être et leNéant, S. 675: „Ainsi revient-il aumêmede s’enivrer solitairement oude conduire
lespeuples.“MitdiesemSartre-Zitat reißtFischleinenSatzausdemKontext,der inL’Êtreet le
Néantgeradedazudient,dasunaufrichtigeHandeln jenerMenschenzuveranschaulichen,die
dem esprit de sérieux (Geist der Ernsthaftigkeit) verfallen sind, indem sie die eigenenWerte
„als transzendente, von der menschlichen Subjektivität unabhängige Gegebenheiten“
(„commedes données transcendantes indépendantes de la subjectivité humaine“) auffassen.
Sartre: Das Sein und das Nichts, S. 1069; cf. S. 108f. (Sartre: L’Être et le Néant, S. 674; cf.
S. 74f.)
155 Heintel: JeanPaulSartresatheistischerHumanismus,S.35.
156 MaximeChastaing: ExistentialismusundBetrug. In:Wort undWahrheit 7 (1952), 1.Halb-
jahr,S. 273–278,hierS.273.
260 7 DiePhilosophiedesExistentialismus inForschung,LehreundKritik
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur