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Dabei ist SartresTheater zumindest vonderFormher traditionell-bürgerlich („tra-
ditionnelle, passéiste et, pourquoi ne pas le dire, passablement ‚bourgeoise‘“21),
konstatiert Jean-Pierre Sarrazac; es knüpfe, wie auch Camus’Dramen, stilistisch
andasmoderneTheater der 1930er Jahre an.Was schockiere, etwaam „aufwüh-
lende[n] Resistance-Stück“22Morts sans sépulture, in demnicht Deutsche foltern,
sondernVichy-Franzosen, seider Inhalt, derneuartigeexistentialistischeDiskurse
widerspiegele.23 Zuneuartig, fürchtendie französischenAlliierten imWunsch, ihr
„österreichisches Publikumnicht zu brüskieren undMaßnahmen zu treffen, die
ihmdieRezeptionfranzösischerKulturerleichtern“24,wasdieVermittlungexisten-
tialistischerLiteratur–etwawegendesKollaborationsthemas–nurbedingt inklu-
diert (cf. Kap. 4.2 und 4.3). Sartre sei, so die verbreitete Meinung, ‚zu viel‘ und
„noch sehr ‚exotisch‘“25, etwa für die Innsbrucker TheatergängerInnen, die 1948/
49 und 1950/51 mitHuis clos konfrontiert werden. Die Antworten des zahlreich
sich einfindenden Publikums bezeugen indes eine hohe Bereitschaft, auf die zur
SchaugestelltenUnerfreulichkeiten („Schmutz undUnrat, Perversität undbrüns-
tigste Lust“)mit gründlichemNachdenken zu reagieren und „starkenBeifall“ zu
spenden:Die „Problemkette vonSchuld,Hölle,Verdammung […] desüberaus in-
tellektuellen, anspruchsvollenWerkes“ habe den Zweck, „aus falscher Selbstsi-
cherheitundschlafferSelbstzufriedenheit“26aufzurütteln,erläuterteineRezension
21 Jean-PierreSarrazac: Théâtre: lepalais et les catacombes. In:GumplowiczundKlein (Hg.):
Paris 1944–1954,S. 142–150,hierS. 143.
22 Es„wurzelt vielleicht stärkeralsandere seinerWerke inSartresphilosophischemBekennt-
nis“, so Scheuch weiter: „Sein Existenzialismus führt, unter radikalstem Verzicht auf alles
Transzendente und aus der Erkenntnis der Absurdität der Existenz und der Gemeinsamkeit
desElendszumStrebennacheinemneuen, illusionslosenHumanismus. […]Darumdarf auch
seine Stimme nicht überhört werden, die seine Landsleute erschütternd zur Besinnung
mahnt“. Scheuch:LiteraturderäußerstenSituation,S. 10.Ausgehenddavon,dassder„Wider-
standskampf des französischen Volkes“ gegen Hitlerdeutschland „eines der stolzesten Ruh-
mesblätter seiner Geschichte“ ist, schreibt hingegen die kommunistische Österreichische
Zeitung (Karinzew: Propaganda der „Hölle“ und des „Wahnsinns“, 16.04.1947) über Sartres
„DieSieger“ (Morts sans sépulture), es sei „einebösartigeundunwahreKarikatur auf diehel-
denhaftenPartisanen“,mehrnoch,„einHohnaufdas französischeVolkundeineSchande für
die französischeDramatik.“
23 Sarrazac:Théâtre: lepalaiset lescatacombes,S. 144.
24 Porpaczy:Frankreich–Österreich,S. 223.
25 Ladner:LiterarischeAktivitätendes InstitutFrançais. Innsbruck1946–60,S.41.
26 Dr. Tepser: Sartre-Premiere in Innsbruck. In: Tiroler Tageszeitung, 15.05.1950. Bevor in
WienHinter geschlossenenTürenam06.05.1953unterderRegievonErichNeuberg imTheater
amParkringPremiere feiert, könnenunter anderemdas IntimeTheater inderPraterstraße im
November 1947 und das Kleine Theater im Konzerthaus (vormals ‚Experiment‘) am 19. Juni
1951mitBeigeschlossenenTüren (Regie:PeterWeihs)„brillieren“ (Kerschbaumer:WienerFest-
wochenzwischenRestaurationundWeltgeltungsanspruch,S.311).
8.1 DieBühneals Ideen-Umschlagplatz 269
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur