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der Tiroler Tageszeitung. Sartre kommentiert das „Philodrama“27 1960 im Rück-
blick als Stück, in dem es eigentlich nicht um Philosophie gehen sollte („petite
pièceoùl’onneparlepasdephilosophie“):
Die Zuschauer glauben, daß es da etwas zu verstehen gebe. Es steckt überhaupt nichts
darin.Aberwennmannicht-philosophischeWerkeschreibt,währendmansichmitPhilo-
sophie herumschlägt –wie ich es vor allem in den letzten zehn Jahren getan habe –,
dannleidetdiegeringsteSeite,diegeringsteProsaanBrüchen.28
(Les spectateurs croient qu’il y a quelque chose à comprendre. Il n’y a rien du tout.Mais
quand on fait des ouvrages non philosophiques, tout en ruminant de la philosophie –
comme j’ai fait surtout depuis ces dix dernières années –, lamoindre page, lamoindre
prosesouffrentdehernies.)29
Es ist dieses zum internationalen Erfolgsstück Sartres werdende Drama Huis
clos, das inweiterer Folge vonösterreichischenAutorInnen immerwieder auf-
gegriffen wird und von Milo Dor bis Wolfgang Bauer „Nachahmer“30 findet.
Eine insDetail gehendeAuseinandersetzungstehthinterRobertNeumanns fol-
genderParodie:
(DreiEmbryos inKinderwagen.)
JeanPaul:Wowirsind, istklar.
Estelle: EsgibtalsowirklicheinenSammel-Warteraum, indemwirwartenmüssen,bevor
wir–?
JeanPaul: Bevorwir zurWelt kommen.Sprechensiees ruhigaus.Undwarumnicht?Der
Gedanke,bloßeinenWarteraumvernichtenzumüssen,umallerExistenzeinEndezuma-
chen,hatseineLockungen.
Gustave:Psychoanalhoch interessant.
Estelle:DieseRenaissance-Kinderwagen, indenenwir liegen, irritierenmich.
Jean Paul: Und wann –wenn die Frage nicht indiskret ist – gedenken Sie geboren zu
werden?
27 Rudolf John:NurSpracheundDenken. In:Kurier, 17.04.1980.
28 Jean-Paul Sartre: Literatur als Engagement für das Ganze. InterviewmitMadeleine Chap-
sal, 1960. In: Sartre:Was kann Literatur? Interviews, Reden, Texte. 1960–1967. Hg. undmit
einemNachwortvonTraugottKönig.ÜbersetztvonStephanHermlin,TraugottKönig, Joachim
Ozdoba, Helmut Scheffel. (GesammelteWerke in Einzelausgaben, Schriften zur Literatur 6.)
Reinbek1979,S.9–29,hierS. 10 (Hervorhebung imOritinal).
29 Sartre:LesÉcrivainsenpersonne,S. 10f. (Hervorhebung imOritinal).
30 SodieArbeiter-ZeitungüberMiloDorsunpubliziertesTheaterstückDervergesseneBahnhof
(Ausschnitt in StimmenderGegenwart, 1953), das als Verarbeitung von Sartre-Einflüssen, be-
sonders vonHuis clos, aufgefasstwurde. Cf. Englerth: Literatur alsMediumdesWiderstands:
MiloDor,S.99.
270 8 SartreundderkulturelleKalteKrieg
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur