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Groß ist die Verblüffung über den Auftritt des vier Jahre zuvor bei der
Vorgängerveranstaltung (dem „Weltkongress der Intellektuellen für den Frie-
den“ in Breslau) alsHyänemit Füllfederhalter („hyène à stylographe“) verun-
glimpften Feind Nr. 1 der sowjetischen SchriftstellerInnen („ennemi n° 1 des
écrivains soviétiques“57). Ernst Fischer erinnert sichgenauandie FlücheAlex-
ander Fadejews, des Sekretärs des UdSSR-Schriftstellerverbandes, über die
„modernistische Philosophie à la Sartre, die den Menschen auf allen Vieren
kriechen lassenmöchte“:
Könnten die Schakale lernen, auf der Schreibmaschine zu schreiben, oder könnten die
Hyänen sich des Füllfederhalters bedienen, so würden sie wahrscheinlich ähnliche
Werke schaffen wie die HenryMiller, Eliot, Malraux und die übrigen Sartre-Typen. Die
PropagierungdesVerbrechens, der Sittenverderbnis, der tierischen Instinktebraucht die
Reaktion,umdieVolksmassen in ihrwillenlosesWerkzeugzuverwandeln.58
ManèsSperbersVariantederBotschaftausBreslau lautet,
daß sich derWesten kulturell in der letzten Phase seines unaufhaltsamenNiedergangs
befinde:daßseineLiteraturwieseineanderenKünstedekadentundsteril seien,daßzum
BeispielMalraux,aberauchSartre,derdamalsnochkeinSympathisantwar,undsoviele
andere Intellektuelle ‚HyänenmitSchreibmaschinen imDienstevonWallstreet‘wären.59
Die im selben Jahr veröffentlichte literaturtheoretische Abhandlung Qu’est-ce
que la littérature? (1948) macht klar, dass für Sartre eine Verbindungmit der
KommunistischenParteiaußerFragesteht,obwohldieseüberdenzurVerwirk-
lichungder klassenlosenGesellschaft nötigenZugangzurMasse verfügt.60Dass
Sartre sich1952nunscheinbarplötzlichzurKooperationbereit sieht, liegtamin-
zwischen evident gewordenen Scheitern seiner Bemühungen um einen ‚Dritten
Weg‘ („la fameuse troisièmeforceoutroisièmevoie“61),dieErschaffungeinerpo-
litisch linkenBewegung, die demokratischer als die kommunistische (PCF) und
revolutionärer als die sozialdemokratische (SFIO) sein sollte: Das zu diesem
Zweckzuvorvon ihmmitbegründetekurzlebigeRassemblementdémocratique ré-
volutionnaire (R.D.R.; 1947/1948–1949) tritt an gegendieÜbel desKapitalismus,
dieMängel einer bestimmtenSozialdemokratie unddieBegrenzungendes stali-
nistischenKommunismus („les pourrissements de la démocratie capitaliste, les
faiblesseset les taresd’unecertainesocial-démocratieet la limitationducommu-
57 Sartre:Sartre,S.96.
58 Ernst Fischer: Das Ende einer Illusion. Erinnerungen 1945–1955.Wien, München, Zürich
1973,S. 250.
59 Sperber:BismanmirScherbenaufdieAugenlegt,S. 245.
60 Cf.Sartre:Qu’est-ceque la littérature?,S.317.
61 Sartre:Sartre,S.84. 8.2WendepunktWien:SchmutzigeHände 277
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur