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terminismusüberdieWertungder individuellenoderkollektivenAktion,denich
nicht akzeptiere,weil ich der Ideeder Freiheit treu gebliebenbin.“194 Aus kom-
munistischerPerspektive ist diesdurchausals eigenwilligerMarxismusakzepta-
bel,wieder folgendeundatierteBriefausdemNachlassErnstFischersnahelegt:
Lieber,verehrter JeanPaulSartre,
Siesind,wasdieWeltheutebraucht:Resistance.WoDummheitsichbreitmacht,woUnrecht
geschieht, sind Sie derWiderspruch, derWiderstand. In IhremWesen undWerk vereinigt
sichderGeistderKritikmitderUnbeirrbarkeitdesParteiErgreifenden. IngeistigerUnabhän-
gigkeit haben Sie für den Sozialismus Partei ergriffen, als eigenwilliger Marxist an seinen
Kämpfen teilnehmend,zurEntwicklungseiner Ideenbeitragend,demStillstandderDogmen
die unablässige Bewegung des Denkens entgegensetzend. Voll Bewunderung für die Fülle
Ihrer literarischen, philosophischen, publizistischenLeistungen, für Ihre Tapferkeit, Lauter-
keit und schöpferische Unruhe, grüße ich Sie als einen der Wegbereiter einer integralen
MenschheitundWeltkultur,alseinenderunentbehrlichenMenschenunseresZeitalters.
ErnstFischer195
Nach Günther Nennings Dafürhalten geht Sartre mit demMarxismus einfach
um „wie ein vernünftiger Mensch westlich von den deutsch-österreichischen
Marxfressern“:
Existentialismus ist einMaterialismus: er sieht diemateriellen Umstände, wie sie west-
östliche Ordnung uns einträchtig bescheren. Existentialismus ist ein Idealismus: er hält
fürmöglich, daßderMensch trotzdemtut,was er sichan Ideenvorgenommenhat imei-
genen Kopf. Freilich unter absurden Schwierigkeiten, mit absurd totalem Heldentum,
undohnewirklicheÄnderungder ringsumabsurdenZustände.196
Fischls Meinung nach, die an das zwischen Sartre und den P. C.-Mitgliedern
vorhandene Misstrauen auch während der Weggenossenschaft denken lässt,
werde Sartre „trotz seines Liebeswerbens von denKommunisten zwar für ihre
Ziele gebraucht, aber innerlich doch abgelehnt“, denn er sei in Wirklichkeit
weder Kommunist (wegen seines absoluten Freiheitsbegriffs) nochMaterialist
(da alle Probleme für ihn ausdemBewusstsein entstünden), sondern schlicht:
„Individualist undasozial“197. Ein solches Festhalten anSartres früherenPosi-
tionen vor derWegbegleiter-Phase steht unter anderem in Zusammenhangmit
der spätenVeröffentlichungvonDasSeinunddasNichts 1952, im JahrdesVöl-
194 Sartre:VolksfrontnichtbesseralsGaullisten. In:DerSpiegel, 12.02.1973.
195 Ernst Fischer: TNL [Teilnachlass]. Typoskript. Literaturarchiv derÖsterreichischenNatio-
nalbibliothek,Wien(LIT),Sign.:37/B299.
196 Nenning:SanktSartre,S. 26f.
197 Fischl: Idealismus,RealismusundExistentialismusderGegenwart,S.312.
302 8 SartreundderkulturelleKalteKrieg
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur