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tiveAntwort,derAutor sei ein„grossesKind“, das, etwabeiderAbsageanden
Stalinismus,„nichtdererste, sondern immerder letztesein“wolle:
Die Fremdheit, die den späten Sartre umgibt, als er, längst eine Reliquie, ein „Gross-
papa“, ein „MannvonGestern“geworden, auf die Strasse geht, umanDemonstrationen
einer Jugend teilzunehmen,dieunendlich fernvomAufstanddesKnabenSartre inseiner
erstenJugend leben[!],kannbeklemmendwirken.15
Was also bleibt?, überlegt Rudolf John und kommt zu demSchluss, nicht viel:
Sartres Philosophie – „Grundlage für alle weiteren philosophischen Denkvors-
töße indiesemJahrhundert“unddennoch„zuquälend […], uminModezublei-
ben“ – habe nun ihren „Platz im staubigen Museum der aufgegebenen
Erkenntnisse“; aber zumindest seine Prosa (zudenkenwärehier anLaNausée)
sichere ihm „einen festenPlatz indenLexika aller Zeiten“16. EinPlatz sicher ist
dort auch Albert Camus, nach dessen tödlichemAutounfall am 4. Jänner 1960
dieösterreichischenPeriodikauneingeschränktpositiv–und, fastausnahmslos,
ohne denNicht-mehr-Freund Sartre zu erwähnen – berichten. Die Tode beider
Autoren lösen eine Rückkehr ihrer Dramen in die österreichischen Spielpläne
aus, 1980erscheinenFriedrichHeer imÖ1-RadiointerviewSartresStückekeines-
wegsals indie Jahregekommen:
Eswär’übrigensander Zeit,wirklich jetztwieder einige seiner bedeutendenStücke [zu
spielen],dieSachensindsehraktuell,nicht?Mankönnte, alsowenn ichetwaszusagen
hätte,würde ichheute für jungeGenerationen, jungeGenerationenzwischen20und70
Jahren, Sartre aufschlüsseln, indem ich Stücke von ihm bringen würde, Dramen, die
zeigen, dass ja alles das, was er an oft nackter Verzweiflung erlebt hat, nicht, ja doch
nochGegenwart ist, nicht, die SachedesMenschen steht heut’, steht 1980nicht besser
als 1940.17
Als sich imFolgejahrzehntdieBeliebtheitderSartreschenBühnenwerkewieder
abschwächt, ist esClausPeymann,derals scheidenderBurgtheaterdirektorauf
ihreAktualitäthinweist:
Was jetzt vielleicht fällig wäre, wenn ich hierbleibenwürde, hatmir interessanterweise
einWiener Taxifahrer gesagt. Der ließ sich auf gar nichts ein, fragte nur:Wieso spielen
Sie eigentlichnicht Sartre undCamus?Das sinddochAutoren, indenen sich einepoliti-
sche Bewältigung unserer Gegenwart findet. DerMannhat recht. DerWiener Taxifahrer
hat recht.18
15 Heer: InmemoriamJeanPaulSartre (LIT),S. 1, 5, 1.
16 John:NurSpracheundDenken. In:Kurier, 17.04.1980.
17 Heer:Ö1-Mittagsjournalvom16.04.1980, 12:12:00–12:18:46.
18 ClausPeymann:PeymannsAbrechnung. In:Profil, 21.12.1998.
314 9 „Ein toterSartre isteinguterSartre“.BilanzundAusblick
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur