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philosophie, zeigtderExistentialismus idealtypisch,wieKulturtransfers ineine
GeschichteaufeinanderfolgenderHybridisierungeneingebundensind.21
Zwar verwandeln sich die Aufnehmenden Kulturgüter nach ihren eigenen
Bedürfnissen an, doch ist die VermittlerInnenebene beim Existentialismus-
Transfer durchdie spezifischeMachtdynamikderBesatzungszeit vonbesonde-
rer Bedeutung. Die Alliierten üben ab 1945 im Kulturbetrieb entscheidende
Funktionen in allen Transferkanälen aus, im Buchhandel, in öffentlichen Bi-
bliotheken, inprivatenLeihbüchereien,RundfunkundWochenschauen, Schu-
lenundUniversitäten, bei derPresseundamTheater.Das „Hereinströmender
freiheitsatmendenWeltliteratur“22, auchdesExistentialismus, erfolgtdabeipri-
mär über Literatur- und Kulturzeitschriften. Maßgeblich beteiligt an diesem
Prozess sind zwischen denKulturen stehendeVermittlerInnen, häufigmit Be-
satzungshintergrund, die durch die Selektion existentialistischer Elemente
letztlich gegendie vorgegebene kulturpolitischeLinie handeln:Diese sieht zur
StärkungdesösterreichischenNationalgefühls denEinsatz vonnicht-polarisie-
renderund-beunruhigenderHochkulturvergangenerZeitenvor.
Bevor die Übersetzungen existentialistischer Werke durch die seit 1948
allmählich wieder zugängigen deutschen Verlage in substantiellem Ausmaß
eintreffenunddie benachbarten Literaturbetriebe einander näherrücken, etwa
durchVernetzungderAutorInnender„Gruppe47“,werdendieösterreichischen
Rezeptionspartikularitäten besonders evident. Neben dem Überspringen von
LesMouches–mitbedingt durchdasUmgehenvonSelbstreflexion auslösenden
Maßnahmen seitens der Besatzung – ist dies vor allem die stark katholisch
geprägte Aufnahme in einer Zeit, in der sichmithilfe des beliebten Renouveau
Catholique die Literatur rekonfessionalisiert. Als christliche ExistentialistInnen
aufgefasstePhilosophenwieGabrielMarcelwerdendurchgehendpositivbespro-
chen, allerdings inweit geringeremUmfangalsderAtheist Camus, der inÖster-
reich nicht selten zum „erfolgreichsten Verbreiter der Philosophie Sartres“23
umfunktioniert wird, und als Sartre selbst, der durch seine Breitenwirkung als
„international celebrity“24 schlecht ignoriert werden kann. Die Abwehrversuche
seiner als Pessimismus und Nihilismus empfundenen Lehre durch katholische
Organe (die gelegentlich auch Vereinnahmungsbemühungen anstellen) haben
wesentlichenAnteil amTransfer,nicht zuletzt, indemsie sieaufdieseWeisemit
subkulturellem Kapital für die Jugend und für Künstlerkreise aufladen, unter
21 Cf.Espagne:LaNotionde transfertculturel,S. 3.
22 Fischer:UmeingeistigesÖsterreich!,S.99.
23 Fischl: Idealismus,RealismusundExistentialismusderGegenwart,S.319.
24 Baert:TheExistentialistMoment,S. 148.
316 9 „Ein toterSartre isteinguterSartre“.BilanzundAusblick
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Title
- Existentialismus in Österreich
- Subtitle
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Author
- Juliane Werner
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 378
- Category
- Kunst und Kultur