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zu überlassen8. Nur ausnahmsweise führte Ferdinand geheime Verhandlungen
ohne Präsenz eines sachverständigen Rates.
Seine wichtigsten Mitarbeiter, die als sein Beraterstab betrachtet werden
können, sollen hier kurz vorgestellt werden, wobei ich mich – der Anlage der
Arbeit entsprechend – auf die Zeit ab 1555 konzentrieren muß. Der Kreis der
Ratgeber Ferdinands kann aber nicht auf die Mitglieder des Geheimen Rates
und die Inhaber der höchsten Hofämter beschränkt werden, über die von den
bei ihm akkreditierten diplomatischen Vertretern der Kurie und Venedigs al-
lerlei Informationen überliefert sind9; doch ist gegenüber ihren Angaben zum
Einfluß der einzelnen Personen Vorsicht geboten, noch mehr gegenüber ihren
teilweise recht abfälligen Urteilen über Ferdinands Beraterkreis10. Es müssen
auch jene Mitarbeiter einbezogen werden, denen Ferdinand wichtige politische
Missionen anvertraut hat11, sei es an den europäischen Höfen, sei es bei den
wichtigen Fürsten des Reiches oder während der Reichstage. Im Laufe der Un-
tersuchung wird mehrmals zu beobachten sein, daß Ferdinand Anregungen
seiner Vertreter, die aus den vor Ort gemachten Erfahrungen entstanden, auf-
nahm und ihnen Handlungsspielraum gewährte, indem er selbständige Schritte
sanktionierte und sich auf ihren Eifer verließ, seine politischen Absichten um-
zusetzen.
Nachdem Ferdinands politischer Mentor in den späten zwanziger und den
dreißiger Jahren Bernhard Cles12, Bischof von Trient und (seit 1530) Kardinal,
sich zurückgezogen hatte, hat kein Rat dessen überragenden Einfluß mehr er-
reicht. Ähnlich wie Karl V. nach dem Tode Gattinaras zunehmend eigenes Pro-
fil gewann – ohne daß das politische Wirken des älteren Granvelle oder anderer
Räte des Kaisers gering geachtet werden soll –, so allem Anschein nach seit dem
Ende der dreißiger Jahre auch Ferdinand.
Sein bedeutendster Mitarbeiter während der Kaiserjahre war zweifellos der
Anfang 1559 zum Reichsvizekanzler berufene Dr. Georg Sigmund Seld13, der
dieses Amt schon in den letzten Regierungsjahren Karls V. bekleidet und sich
dessen steigende Wertschätzung erworben hatte.
Seld (1516–1565), Sohn eines Augsburger Bürgers, hatte in Italien die Rechte
studiert14, war eine Zeitlang in bayerischen Diensten gewesen. Als ihn Karl V.
Anfang 1547 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Reichsvizekanzlers be-
auftragte, soll das aufgrund einer Empfehlung Ferdinands geschehen sein15.
Man kann Seld als überzeugten Humanisten in der Tradition des Erasmus von
8 „Nelle risposte è molto riservata, riportandosi alle deliberazioni dei suoi consigli“ (Mocenigo
1559, zitiert nach Hilger, S. 138).
9 Zusammengestellt bei Goetz, Ratgeber, passim
10 Sie werden von Huber, Geschichte 4, S. 271f ohne Vorbehalte tradiert, und auch Goetz, Ratge-
ber, S. 401f scheint sie im wesentlichen für zutreffend zu halten.
11 Lanzinner, Räte, S. 297 verweist mit Recht darauf, daß man auch die Aufgabenfelder der Mitar-
beiter berücksichtigen muß.
12 Rill/Thomas, passim
13 Darüber waren sich alle Beobachter einig; vgl. Groß, S. 308, Goetz, Ratgeber, S. 485f
14 Neben der biographischen Skizze von Druffel, Seld, ist die Dissertation von Vogel heranzuzie-
hen; eine neue Untersuchung ist wünschenswert. Zu Selds Studiengang s. Vogel, S. 9f
15 Lieb, Familie, S. 78
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien