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Ferdinand und seine Berater 21
Rotterdam betrachten16. Wie Ferdinand selbst verband er aufrichtige persönli-
che Anhänglichkeit an den katholischen Glauben mit Aufgeschlossenheit für
die Notwendigkeit einer Kirchenreform, eine Haltung, die bei etlichen Perso-
nen, die Ferdinand im Laufe seines Lebens zur Mitarbeit herangezogen hat,
anzutreffen ist. Ehe Ferdinand Seld in seinen engsten Beraterkreis holte, be-
traute er ihn in der Zeit seit der Abreise Karls V. nach Spanien schon mit zwei
besonders wichtigen Aufgaben: Zunächst mit der Leitung des Wormser Religi-
onsgesprächs gemeinsam mit dem Bischof von Naumburg Julius Pflug; später
mit der Erarbeitung eines Gutachtens über die Rechtmäßigkeit der Kaiserpro-
klamation Ferdinands, die von Papst Paul IV. verworfen wurde. Der selbst zu
Ferdinands Mitarbeiterstab gehörende Zasius kommentierte Selds Ernennung
zum Reichsvizekanzler, es gäbe im Reich keine geeignetere Persönlichkeit als
ihn, der außerdem bei allen Ständen beliebt und angesehen sei17. Seld hat die in
ihn gesetzten Erwartungen Ferdinands nicht enttäuscht18.
Mit dem Amt war nicht weniger verbunden als die Betreuung des gesamten
amtlichen Schriftverkehrs: Seld hatte die Post – sofern es nicht an den Kaiser
persönlich gerichtete Briefe („zu eigenen handen“) waren – zu öffnen, zu lesen
und zur weiteren Bearbeitung zu verteilen, soweit es ihm nötig erschien, dem
Kaiser zu berichten oder im Geheimen Rat darüber zu referieren19. Viele der
eingelaufenen Aktenstücke sind mit seinen eigenhändigen Vermerken zum
Inhalt oder Anweisungen zur weiteren Bearbeitung versehen. Machten ihn
diese behördlichen Aufgaben zum am besten informierten Mitarbeiter Ferdi-
nands, so wurden die Reichs- und die Religionspolitik alsbald seine wichtigsten
Arbeitsfelder; zahlreiche Bekundungen Ferdinands in diesen Bereichen hat Seld
entweder selbst konzipiert oder die vorgelegten Entwürfe kritisch überarbei-
tet20. Des öfteren findet sich in den Protokollen des Geheimen Rates der Ver-
merk: „Placet opinio vicecancellarii“. Die Argumentation in seinen Gutachten
ist umsichtig und scharfsinnig, und er hatte eine Begabung, die Dinge durch
humorvolle oder ironische, manchmal recht drastische Formulierungen auf den
Punkt zu bringen21. Kaiser und Kanzler verband schon bald ein festes Vertrau-
ensverhältnis; Ferdinand legte großen Wert auf Selds Meinung, und wenn er
ihm auch nicht immer folgte, so gab doch in vielen Fällen dessen Votum den
Ausschlag22. Seld galt überdies als unbestechlich, und wenn er ausnahmsweise
ein Geschenk annahm, so hatte das auf seine Loyalität gegenüber Ferdinand
16 So Rabe, Reichsbund, S. 109
17 Goetz, Beiträge, S. 142
18 In einer Unterhaltung bei Tisch soll Ferdinand über seine Räte Seld und Gienger geäußert ha-
ben: „Ich gläube nicht, daß im gantzen Römischen Reich ihres gleichen zu finden ist. Denn sie
sind fromme, gottfürchtige, gelehrte und wolbedachte Leute, ohne Stolz und Neit, beredt und
glimpfflich“. (Naeve, S. 65f, ähnlich S. 161). Die Authentizität ist allerdings nicht gesichert.
19 Kretschmayr, S. 403; Sellert, S. 30
20 Groß, S. 308f
21 Zahlreiche Beispiele in seinen (im BHStA München erhaltenen) Briefen an Herzog Albrecht von
Bayern, den er über Vorfälle und Überlegungen am Kaiserhof zu informieren pflegte.
22 Vogel, S. 42f bringt Belege, daß Seld das wußte.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien