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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden36
Es ist schwer zu entscheiden, welche Aspekte Ferdinand am meisten am
Herzen lagen. Quantitativ stark ins Gewicht fällt der Hinweis auf die türkische
Gefahr, weil Ferdinand neu eintreffende Berichte von der ungarischen Front
sofort weitergab, um den Einwand zu entkräften, er bausche die Gefahr auf31.
Es war seit langem ein Divergenzpunkt zwischen den habsburgischen Brüdern,
an welcher Front der Türkenkrieg am zweckmäßigsten zu führen sei, insbeson-
dere fühlte Ferdinand sich von Karl bei der Wahrnehmung seiner Interessen in
Ungarn und Siebenbürgen, wo er ja immer auf die osmanische Macht stieß,
nicht hinreichend unterstützt32. Der Friede im Reich war deshalb für ihn zwei-
fellos von größter Wichtigkeit als Voraussetzung, um von den Reichsständen
Hilfe gegen türkische Offensiven zu erlangen – und Moritz hatte ihm für den
Fall des Vertragsabschlusses Zuzug in Aussicht gestellt33! Doch hatte für Ferdi-
nand das Argument, Österreich und Ungarn bildeten das Bollwerk der Chri-
stenheit gegen den Islam, auch einen durchaus existentiellen Erfahrungshinter-
grund34, und sein Hinweis, mit ihrem Verlust werde das Reich in seinen
Grundfesten getroffen, war mehr als propagandistische Verbrämung. Anderer-
seits fällt auf, daß Ferdinand gerade in seinem eigenhändigen, also vertraulichen
Brief den Versuch machte, den Bruder am kaiserlichen Portepee zu fassen, in-
dem er ihn ermunterte, gegenüber den deutschen Reichsständen kaiserliche
Großzügigkeit und Friedensliebe zu demonstrieren, seine Rache aber gegen den
französischen König als den eigentlichen Hauptschuldigen zu kehren. Um es
einmal zugespitzt auszudrücken: Weil der Kaiser infolge seiner hochgradigen
Bedrängnis durch das Vorgehen der protestantischen Fürstenopposition selbst
Partei geworden war, machte König Ferdinand die Wahrung bzw. die Wieder-
herstellung des Friedens im Reich und die Ermöglichung der Türkenabwehr als
ebenso wichtige Kaiseraufgaben wie die Restitution der Glaubenseinheit, um
die es im aktuellen Streit ging, zu seinen Anliegen, damit der Bruder sie nicht
aus den Augen verlöre. Sollte der Frieden tragfähig sein, so mußte er auf ehrli-
cher Bereitschaft zum Konsens beruhen – auch in der Religionsfrage35.
Alle Argumente Ferdinands vermochten indessen Karl nicht davon abzu-
bringen, daß die Passauer Vereinbarungen in der ihm vorgelegten Fassung mit
seiner Pflicht und seinem Gewissen (devoir et conscience) unvereinbar seien.
Der Kaiser setzte schließlich die Streichung der Aussage zur Fortdauer des
Anstandes über den Reichstag hinaus ebenso durch wie den Fortfall derjenigen,
die der Majorisierungsfurcht der Protestanten hatte wehren sollen36. Ferdinand
31 Der Kaiser solle nicht glauben, es handele sich um „encarecimientos“, wie der Spanier zu sagen
pflege (ebda, S. 289).
32 Dazu Hantsch, Problem, passim, sowie die Arbeiten von Steglich und Rieger.
33 Fischer-Galati, Question, S. 302
34 Man denke an die Belagerung Wiens von 1529 und den Untergang seines Schwagers Ludwig von
Ungarn – Erfahrungen, die neben den unbestreitbaren materiellen Interessen nicht übersehen
werden sollten.
35 Dagegen hat Barge (S. 68 u. S. 126) territoriale Interessen als Hauptmotiv für Ferdinands Han-
deln in Passau betont.
36 Die Bestimmung in § 11, auf die Schlaich, Maioritas, S. 143 verweist, bezog sich nur auf mit der
Besetzung des Reichskammergerichts zusammenhängende Fragen, nicht grundsätzlich auf das
Religionsproblem.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien