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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden52
Reich. Es war ihm klar, daß dazu die Religionsproblematik gelöst werden
mußte. Die Hoffnung Kaiser Karls, die Häretiker noch einmal züchtigen zu
können, teilte er nicht mehr. Weil das traditionelle Verfahren, die für alle ver-
bindliche Entscheidung durch ein Generalkonzil, zur Zeit nicht funktionierte,
war er bereit, sich auf Ersatzlösungen einzulassen und den Versuch zu wagen,
eine „provisorische“ Einigung auf Reichsebene durch ein Colloquium herbei-
zuführen mit anschließender Bestätigung durch den Reichstag und Tolerierung
durch Rom. Die Erfolgsaussichten standen freilich zu Jahresbeginn nicht be-
sonders günstig; denn für die Unterstützung aus Rom hatte er bisher kein Si-
gnal, auch wenn er die Nominierung Morones, der sein Wunschkandidat war,
als solches interpretiert zu haben scheint; der Kaiser verhielt sich höchst reser-
viert, und auch die katholischen Reichsstände zeigten bisher keinerlei Bereit-
schaft, diesen Weg mitzugehen. Es sollte sich dann herausstellen, daß Ferdinand
sich einer noch geringeren Ersatzlösung nicht verweigerte, nämlich nur die
wichtigsten aus dem Religionszwist erwachsenen strittigen Rechtsfragen zu
regeln. Wenn das gelang, so das zugrunde liegende Kalkül, würde die erforder-
lich bleibende Einigung in der Glaubensfrage in der Zukunft immerhin erleich-
tert. Diesen Weg hat Ferdinand in Augsburg dann beschritten trotz der War-
nungen Karls, das laufe auf die endgültige, von ihm immer abgelehnte Aner-
kennung der Protestanten hinaus. Bekanntlich ist es den Protestanten gelungen,
die reichsrechtliche Existenzsicherung ihres Kirchenwesens im Rahmen des
Religionsfriedens durchzusetzen. Ferdinand aber, dem wegen seines höher
gesteckten Zieles die Ergebnisse des Reichstags keineswegs genügten, hat sofort
einen neuen Anlauf zur Religionsvergleichung angesetzt, den der Regensburger
Reichstag unternehmen sollte. Bis an sein Lebensende hat Ferdinand an dem
Ziel der Wiederherstellung der Einheit im Glauben festgehalten, seine Kon-
zilspolitik als Kaiser war von dieser Intention geleitet.
Eröffnung des Reichstages
In der Situation vor der Eröffnung des Augsburger Reichstages hatte die von
Ferdinand in seiner Auseinandersetzung mit dem Kaiser über die Verantwor-
tung für die Ergebnisse angewendete Taktik zur Folge, daß er zunächst kaum
Akzente im Sinne seiner ursprünglichen bzw. grundsätzlichen Konzeption
setzen konnte. Gelegenheit dazu bot nur die Ansprache, die sein Vizekanzler
Jonas am 5. Februar 1555 zur Erläuterung der Proposition zu halten hatte.
Wie oben ausgeführt, sprach die Proposition zum erstgenannten Beratungs-
gegenstand, der Religionsfrage, trotz Ferdinands Kritik keine klare Empfehlung
aus. Mit stärksten Ausdrücken wurde die Gefahr beschworen, Deutschland
werde, da aus der Glaubensspaltung immer neue Sekten entstünden, in einem
Chaos des Unglaubens versinken113. Die Vorschläge zur Abwendung des Un-
113 Wendungen, die Christoph von Württemberg so getroffen haben, daß er sie später mehrmals
zitierte, um die zerstrittenen Protestanten zur Einheit zu mahnen, damit das „Vaticinium“ von
Jonas nicht in Erfüllung gehe (Ernst, Bw. 4, S. 457 u. S. 481).
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien