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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden70
mischen König auszurichten217. Zur Sache äußerte sich Karl nicht weiter, doch
die reichsrechtliche Verantwortung lehnte er nochmals ab.
Hätte Ferdinand jenen Protest zu lesen bekommen, wäre er in eine heikle
Lage geraten, denn sein Bestreben war es ja gerade, den Kaiser nicht aus seiner
Verantwortung für die Entscheidungen auch über den Religionsfrieden zu ent-
lassen. Aus der wiederholten Beteuerung Karls, er vertraue darauf, daß Ferdi-
nand als christlicher Fürst und sein Nachfolger im Reich nichts bewilligen wer-
de, was sein Gewissen belasten müsse, konnte er auch Zweifel herauslesen. Der
König hielt jetzt die Zeit für gekommen, die Heimstellungstheorie des Kaisers
grundsätzlich als unhaltbar zu qualifizieren und die bleibende Verantwortung
des Kaisers klarzustellen. Seine Argumentation ließ in ihrer nüchternen Prä-
gnanz keinen Einwand zu: „Jeder Urteilsfähige kann klar erkennen, daß, auch
wenn ich Römischer König bin und der Reichstag in meinem Namen und kraft
der mir von Ihnen verliehenen Vollmacht veranstaltet wird, ich doch nichts tun
könnte und dies weder Kraft noch Gültigkeit besäße, da ich es zu Ihren Leb-
zeiten nicht ohne Ihre Zustimmung und Ihren Auftrag tun kann; sonst wäre
alles, was ich täte, ungültig und wirkungslos.“ Er werde sich zwar bemühen, so
weit wie möglich in eigenem Namen zu handeln, und sein Bestes für Reich und
Christenheit tun, aber der Abschied werde zweifellos kraft der kaiserlichen
Vollmacht abgeschlossen werden218. Und ehe der Kaiser darauf geantwortet
hatte, schickte ihm Ferdinand konsequenterweise auch den Entwurf des Kur-
fürstenrates zum Religionsfrieden und bat wieder um Stellungnahme219.
Kaiser Karl hat den reichsrechtlichen Ausführungen Ferdinands nicht wider-
sprochen, aber betont, der Bruder könne als Römischer König in allen Punkten
handeln, ohne seine Entscheidung einholen zu müssen. Von Rückfragen in der
Religionsfrage wünsche er daher verschont zu bleiben, gegen eine spezielle
Vollmacht habe er aber größte Bedenken220.
Spätestens seit Anfang Mai, wahrscheinlich aber schon früher, muß es Ferdi-
nand also ganz deutlich gewesen sein, daß er von Kaiser wie Papst in dieser
entscheidenden Situation allein gelassen wurde. Diese Klärung hatte zur Folge,
daß bei ihm von nun an stärker das Bestreben hervortrat, zu einer soliden und
für alle akzeptablen Sicherung des Friedens im Reich zu gelangen. Das Ziel, auf
diesem Reichstag zur Lösung der Religionsfrage selbst zu kommen oder auch
nur über den geeigneten Weg dahin zu beraten, mußte zurückgestellt werden.
Nachdem sich auch die Fronten zwischen den Reichsständen auf dem
Reichstag geklärt und die grundsätzlichen Positionen von Katholiken und Pro-
testanten in den zu regelnden Rechtsfragen deutlicher geworden waren, hat der
König mit Zähigkeit und Flexibilität die Reichsstände zu Kompromissen zu
bringen gesucht, um auf jeden Fall zu einem möglichst einvernehmlichen Er-
gebnis zu kommen. In den jetzt stärker nach Konfessionen geführten Beratun-
gen haben seine Vertreter sich sehr um Vermittlung zwischen den beiden Par-
217 Druffel 4, S. 650: Karl an F., 11.4.1555; dazu Lutz, Christianitas, S. 364
218 Ferdinand an Karl, 17. April 1555, bei Lanz, Corr. 3, S. 650f.; die zitierte Übersetzung bei Lutz,
Christianitas, S. 364
219 HHStA Wien, RK, RTA 29a Konv. I: Ferdinand an Karl, Augsburg, 27.4.1555 (Konz.)
220 Druffel 4, S. 664: Karl an Ferdinand, Brüssel, 28.4.1555
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien