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Vorentscheidung im Juli und August: Resolution oder Prorogation 99
Eindruck eines gegenseitigen Belauerns, um den anderen gegen seinen Willen in
die eigene Konzeption einzuspannen380.
Wahrscheinlich fiel in dieser Zeit bei Karl die Entscheidung, die Fahrt nach
Spanien zwar zu verschieben – die Geschäfte in den Niederlanden, die Überga-
be an Philipp ließen sich nicht so schnell abwickeln, zumal der englische König
wegen der Scheinschwangerschaft seiner Gemahlin England im Sommer noch
nicht verlassen konnte381 –, aber im Reich schon abzudanken. Als er am 15.
August endlich wieder an Ferdinand schrieb, erteilte er dessen Plänen seine
Zustimmung, bat ihn aber, die Arbeit des Reichstags etwas hinzuziehen, weil er
ihm noch vor dessen Auflösung eine wichtige Botschaft zukommen lassen
wolle, sobald er sich mit Philipp beraten habe382. Die Forschung ist sich einig,
daß das eine verschlüsselte Ankündigung seiner Abdankung war. Es war, sofern
die Abreise nach Spanien in diesem Jahr nicht mehr durchführbar war, für Karl
die einzige Möglichkeit, Ferdinand doch noch mit der Verantwortung für den
Reichstag allein zu lassen.
Ob Ferdinand Karls geheimnisvolle Ankündigung richtig zu deuten gewußt
hat, muß offen bleiben. Indessen hat er sie durch das Tempo, mit dem er die
Abschlußverhandlungen des Reichstags geführt hat, tatsächlich unterlaufen
können. Schon als er sich ausrechnen konnte, daß der Kaiser lange genug in den
Niederlanden bleiben würde, wurde der Prorogationsplan für ihn unattraktiv –
ganz abgesehen davon, daß die Fürsten ihn ablehnten, sich aber unter dem Ein-
druck des Vorschlags unter Führung Kursachsens dazu herbeigelassen hatten,
die Beratungen über die anderen Sachfragen zu beschleunigen.
Ferner bot die Aktion Ferdinand die Möglichkeit, gegenüber der Kurie guten
Willen zu demonstrieren. Er konnte so verdeutlichen, daß er sich in einer
Zwangslage befinde, wie er es eigentlich in jedem Gespräch mit den Vertretern
der Kurie zum Ausdruck gebracht hat. Ende Juli war als Emissär des neuen
Papstes Paul IV. der Bischof von Verona Lippomano in Augsburg eingetroffen
und hatte sogleich energische Vorstellungen gegen jegliche Konzessionen, die
den Glauben und die Rechte der Katholischen Kirche bzw. des päpstlichen
Stuhles berührten, erhoben und geraten, den Reichstag ohne Abschied aufzulö-
sen383. Ferdinands Beteuerung, nicht in unkatholische Beschlüsse willigen zu
wollen, wenn seine Macht es erlaube („dove si estende però la sua potestà“),
nahm Lippomano zum Anlaß, den König mit der Bemerkung in die Enge zu
treiben, er habe doch genügend Vollmachten vom Kaiser erhalten. Ferdinand
antwortete mit einer Schilderung der schwierigen politischen Situation, die den
päpstlichen Vertreter so beeindruckte, daß er in seinem Bericht nach Rom den
König mit Pilatus verglich, „der den Herrn gezwungenermaßen und infolge
380 Fehl ging die Überlegung von Schwabe, S. 281f, Ferdinand habe die Prorogation als Ausweg aus
dem Dilemma erwogen, daß er bei einer klaren Stellungnahme zugunsten der Katholiken die
Unterstützung der Protestanten gegen Karls Sukzessionspläne verlieren werde; es war eine
Überbewertung dieses – Ferdinand gewiß lästigen – Themas zu glauben, er sei wegen der An-
kündigung, Philipp II. käme demnächst zum Vater in die Niederlande, sogleich in Panik geraten.
381 Vgl. Lutz, Christianitas, S. 408
382 Lanz, Corr. 3, S. 673–675; Lutz, Christianitas, S. 412
383 Die Instruktion für Lippomano jetzt NB I 17, S. 97–99; vgl. Pieper, S. 109.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien