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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden116
nicht auf ihre Pflichten gegen Kaiser und Reich erstrecke496. Wohl waren die
Einwirkungsmöglichkeiten der Reichsspitze recht eng begrenzt, und ganz ver-
loren waren die einer Bundesorganisation ähnlichen Elemente. Aber der König
war ja zuversichtlich, die praktische Anwendung der Ordnung werde schon
bald Gelegenheit zu dauerhaften Nachbesserungen eröffnen497. Daß es dazu
nicht gekommen ist, lag 1555 noch in der Zukunft verborgen.
Das Ergebnis wurde unversehens noch einmal in Frage gestellt, als die Ver-
treter des niederrheinisch-westfälischen Kreises, die Gesandten von Jülich-
Kleve und von Münster, ankündigten, nicht zustimmen zu können und einen
Protest einreichen zu wollen, weil ihre Instruktion auf Weiterberatung des
Frankfurter Entwurfs ausgestellt gewesen sei, von dem nun nichts mehr übrig-
geblieben wäre498. Die irritierten Stände wiesen das mit der Begründung zu-
rück, die Absonderung eines Kreises sei unüblich, vielmehr habe die Minderheit
der Mehrheit zu folgen, und setzten den König in Kenntnis499. Ferdinand be-
stellte die beiden Gesandten nacheinander zu sich und setzte sie so energisch
unter Druck, daß sie von ihrem Vorhaben Abstand nahmen. Gegenüber dem
Gesandten Jülichs verwies er unter anderem auf den „Unglimpf bei gemainen
Stenden“, den der Herzog sich dadurch einhandeln werde, und auf die Gefahr,
in die er sein Land brächte; dem Vertreter des Bischofs machte er klar, wenn die
geistlichen Fürsten sogar beim Religionsfrieden auf einen Protest verzichteten,
sei es unmöglich, daß sein Herr sich hier absondern wolle500. Um ihre persönli-
chen Bedenken zu überwinden, bot er ihnen an, an ihre Herren zu schreiben,
und akzeptierte, daß die Stände des niederrheinisch-westfälischen Kreises auf
dem nächsten Reichstag etwaige Beschwerden gegen die Exekutionsordnung
vorbringen dürften501. Auch diese Episode belegt, daß Ferdinand unbedingt
eine funktionierende Friedensordnung auf diesem Reichstag zustandebringen
wollte, sie aber nicht als endgültige Regelung, sondern als revisionsfähige Zwi-
schenstufe betrachtete502.
Ohne großes Aufheben wurden im September die „Gravamina“ der Stände
gegen den Kaiser, eine Erblast aus dem Passauer Vertrag, beiseite geräumt. Der
Kurfürstenrat hatte zwar zwischendurch darüber beraten, und Zasius hatte
davon so viel Zündstoff befürchtet, daß er inoffiziell einzelnen protestantischen
Räten bedeutete, „werde man die gravamina hart urgieren, so werd der kay.
Commissarius kommen und ein sack vol gravamina der Kay Mt. wider die
stend des reichs pringen“503. Als aber das Thema im August im Fürstenrat zur
496 J. Müller, S. 261 (Punkt 2 der Resolution Ferdinands) u. S. 263 (Antwort der Stände). Die Klau-
sel wurde eingefügt (§ 59 des Abschieds).
497 Ähnlich die Wertung von Sicken, Ferdinand I., S. 71
498 Ein undatierter Entwurf des Protestes in NWStA Münster, FML 473, Bd. 3a, fol 439–440
499 Vgl. Lutz/Kohler, S. 132 u. 135
500 NWHStA Münster, FML 473, Bd. 3a, fol 403–407: Bericht Dincklages an den Bischof v.
17.9.1555, mit mehrmaliger Betonung des vom König ausgeübten Drucks. Zur Bedeutung des
„Unglimpf“-Argumentes vgl. Luttenberger, Reichspolitik, S. 47
501 NWStA Münster, FML 473, Bd. 3a, fol 408r: F. an Bischof Wilhelm von Münster, 22.9.1555
502 Dieser Kreis hat binnen eines Jahres seine militärische Organisation aufgebaut (Schneider, Kreis,
S. 84ff).
503 HStA Marburg, PA 1208: Lersner an Landgraf Philipp, 31.7.1555 (Konzept)
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien