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Kapitel 1: Ferdinand und der Augsburger
Religionsfrieden122
zu Protokoll, sie sähen nicht ein, warum ihnen das Jus reformandi vorenthalten
werde, und fühlten sich dadurch in ihrem Gewissen beschwert; damit lieferten
sie den Katholiken das Argument, die Notwendigkeit jener Garantie sei nun
offenkundig543. In dieser Frage zeigten beide Seiten so wenig Nachgiebigkeit
wie bei den übrigen drei Punkten: Beschränkung der Freistellung auf die
Reichsstände, Ausschluß der Hansestädte und der landsässigen Ritterschaft,
Geistlicher Vorbehalt. Die Katholiken begrüßten die Vorschläge des Königs,
die Protestanten verteidigten mehr oder weniger ausführlich ihre entgegenge-
setzte Position. Vorschläge, wie ein Ausgleich gefunden werden könnte, wur-
den dazu nicht gemacht. Bei der Übergabe der Duplik wurde der König gebe-
ten, über „Mittelwege“ nachzudenken544.
Ferdinand sagte zu, er wolle sich „zu erster mugligkeyt“ äußern545. Sofort
nach dem Ende der Reichstags-Sitzung nahm er mit seinen Räten die Analyse
des Ständebedenkens vor546. Dabei entschloß er sich, die erbetenen „Mittelwe-
ge“ in mündlichen Verhandlungen zu suchen, und ließ die Protestanten gleich
für den nächsten Morgen zu sich laden. Offenbar hielt er die Dinge für ent-
scheidungsreif und traute sich zu, durch Zugeständnisse in einigen Punkten
unter Einsatz seines persönlichen Einflusses die allgemeine Einigung herbeizu-
führen. Denn im Grunde steckten hinter den unverglichenen Passagen nur noch
zwei fundamentale Streitfragen: 1. Wie eng oder weit sollte die Freistellung
bzw. das Jus reformandi gefaßt werden? 2. Sollte der Friede zeitlich begrenzt
oder unbefristet sein?
Grundsätzlich wollte Ferdinand daran festhalten, die Freistellung eng und
eindeutig zu fixieren. Als ihn der von besorgten Katholiken alarmierte Nuntius
Lippomano während seiner Abschiedsaudienz beschwor, in der Übertrittsfrage
festzubleiben, versicherte der König, er denke nicht daran, diese Abschnitte zu
ändern547. Die Angebote zur Verständigung, die er den Ständen machte, waren
geringfügig und bedeuteten keine Aufweichung dieser Grundhaltung.
Beim Jus emigrandi von der Maximalforderung nach Streichung abzugehen,
fiel ihm nicht schwer, da sie nur wegen der Supplik der schwäbischen Grafen in
die Resolution aufgenommen worden war – vielleicht war ihr sogleich die
Funktion zugedacht gewesen, als Konzessionsmaterial verwendet zu werden.
Nachdem die Stände eine Sonderbestimmung für habsburgische Untertanen
angeboten hatten, fand man im Rat des Königs den Ausweg, durch Weglassen
des Wortes „kaiserlich“ bei der Aufzählung die Untertanen des Kaisers auszu-
schließen548. Für seine eigenen zum Reich gehörigen (also die österreichischen)
543 Die Argumentation der Städte wurde dem „Protokoll“ einverleibt (Lehmann 1, S. 38 r.); vgl.
dazu Friedensburg, S. 68f. Zur Reaktion der Katholiken vgl. Blarer, Briefe 2, Nr. 1392, S. 396,
und den kursächsischen Bericht bei Ranke, Reformation 6, S. 295.
544 Lutz/Kohler, S. 113
545 Lutz/Kohler, S. 114
546 Hornungs ausführliches Protokoll (Lutz/Kohler, S. 115ff) ist eingehend behandelt bei Lutz,
Christianitas, S. 427ff.
547 NB I 17, S. 177; vgl. Goetz, Vertreter, S. 207. Das Gespräch fand offenbar am 6.9. 1555 statt.
548 Lutz/Kohler, S. 116
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien