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Der Reichstag unter Ferdinands persönlicher Leitung 175
Seite der Evangelischen“ getreten196, denn seine Vorstellungen von den zu füh-
renden Religionsgesprächen unterschieden sich fundamental von denen der
Protestanten. Abwegig ist auch die Deutung, Ferdinand habe sich „den Wort-
führern der neugläubigen Partei erkenntlich zeigen wollen“ für ihre im Unter-
schied zu manchen Katholiken größere Bereitschaft zur Türkenhilfe197.
Die königliche Resolution dokumentiert Ferdinands originäre Konzeption
vom Weg zum Religionsausgleich, die noch immer von der Hoffnung getragen
war, die Glaubensspaltung sei überwindbar. Hier mögen Nachwirkungen des
Einflusses, den einst Erasmus von Rotterdam auf den jungen Habsburger ge-
nommen hatte, faßbar werden198. Der Wunsch nach „friedliebenden“ theolo-
gisch gebildeten Räten weist in diese Richtung, und Welsinger hatte in seinem
Oktober-Gutachten die Auswertung der Schriften des großen Humanisten
empfohlen, aus denen „vil guter, herrlicher, vernunftiger, moderata et pia con-
silia zu nemen“ seien199. Bestärkt worden sein mag Ferdinand auch durch die
Tendenz der von Witzel schon im Frühjahr abgelieferten Denkschrift, in der
der Verfasser sich auftragsgemäß bemüht hatte darzulegen, „was etwae zue
Reformation und Union der Kirchen dienstlich ist“200. Im Hauptteil behandelte
Witzel in 25 Abschnitten strittige Fragen, darunter die Stellung des Papstes, der
römischen Kurie, der Bischöfe, ferner die Rechtfertigungslehre und die Sakra-
mente, die gottesdienstliche Praxis, die Verehrung von Heiligen und Bildern201.
Wesentlich ist dabei Witzels Bauprinzip: Er wollte jeweils deutlich machen, was
unter Berücksichtigung der kanonischen Schriften, der Kirchenväter und der
alten Konzilien die wahrhaft „katholische“ Position sei, die mithin eigentlich
von allen wahren Christen akzeptiert werden müßte; daneben stellte er jeweils
einerseits, was er als Fehlentwicklungen in der römischen Kirche betrachtete –
das nannte er „papistisch“202 – und andererseits, was er als Irrtümer bzw. pole-
mische Überspitzungen der Reformatoren ansah. Indem er das „Katholische“
jedesmal zwischen die beiden anderen Positionen rückte, suggerierte er, daß die
Wahrheit irgendwo zwischen ihnen liege203. Eine theologische Einordnung und
Würdigung ist hier nicht zu leisten204; meistens bewegte sich Witzel auf einer
196 So Wolf, Protestanten, S. 47; Bundschuh, S. 193
197 Weil Bundschuh diese kontinuierliche Linie nicht erkannt hat, muß er nach Gründen für den
„überraschenden Entschluß“ Ferdinands suchen, doch sind seine auf S. 194f. vorgetragenen The-
sen sämtlich nicht stichhaltig: Die Protestanten hatten in ihrer Supplikation genügend verdeut-
licht, wo sie Entgegenkommen erwarteten, auch drängten die „Wortführer“ (das waren die
Kurfürsten!) aus verschiedenen Gründen keineswegs; zu glauben, sie mit Beschleunigung des
Colloquiums ködern zu können, wäre naiv gewesen.
198 Lutz, Christianitas, S. 437 u. 228
199 Zitiert nach Bundschuh, S. 354
200 ÖNB Nr. 11818: „Georgius Wizelius: Underschied zwischen den unainigen Partheyen der
strittigen Religionssachen“, 66 fol, das Zitat fol 4v; zur Überlieferung Bundschuh, S. 330 Anm.
118
201 Vollständige Aufzählung bei Bundschuh, S. 333
202 Vgl. dazu Henze, S. 245
203 Henze, S. 247ff, hat die Schrift zu einseitig unter dem Aspekt „Reformforderung“ interpretiert.
204 Zur zentralen theologischen Streitfrage, der Rechtfertigung, meinte Witzel: „papistisch“ sei eine
Überbetonung der guten Werke, das lutherische „sola fide“ lehnte er ab und skizzierte die „ka-
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien