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Kapitel 2: Der Regensburger
Reichstag200
über die Gesprächsgrundlage als auch über den Diskussionsmodus zu einigen.
Dabei konnte die Vorgabe des Königs umgesetzt werden, denn eine von Cani-
sius ausgearbeitete und von Helding präsentierte Liste, die nahezu alle zwischen
den Konfessionen strittigen Fragen aufzählte, wobei die Reihenfolge an der
Confessio Augustana ausgerichtet war, wurde von den Evangelischen als Basis
für die Erörterungen akzeptiert356. Die Voten sollten schriftlich fixiert und
vorgetragen werden, danach sollte die Gegenseite Einsicht und Gelegenheit zur
Erwiderung erhalten. Damit wich man von der Intention Ferdinands ab, durch
direkten und zunächst unverbindlichen Gedankenaustausch zur Annäherung
zu kommen; aus dem „Colloquium“ wurde ein „Scriptiloquium“ (Melan-
chthon)357. Dennoch äußerte Seld sich bei diesem Stand der Dinge gedämpft
optimistisch: Nach stürmischem Beginn sei die Stimmung jetzt besser, „das
schier baide tail verhoffen, es sol nit genzlich one frucht abgeen“358. Der erste
Bericht Pflugs an den König beschränkte sich auf die Mitteilung der erreichten
Anfangserfolge, überging die bisher aufgetretenen Spannungen und ließ nicht
ahnen, daß sich die Situation binnen weniger Tage wieder dramatisch zuspitz-
te359.
Ausgelöst wurde die Krise, als Canisius in der sechsten Sitzung am 20. Sep-
tember die Berufung der Evangelischen auf das Schriftprinzip durch scho-
nungslose Bloßstellung ihrer Lehrdifferenzen ad absurdum zu führen suchte
und Helding im Anschluß daran verlangte, mehrere ihrer theologischen Rich-
tungen als nicht auf dem Boden der Confessio Augustana stehend auszugren-
zen, darunter auch die Gnesiolutheraner360. Die Sitzung mußte abgebrochen
werden, hatte aber zur Folge, daß der bislang mühsam unter der Decke gehalte-
ne Streit zwischen den evangelischen Theologen erneut in aller Schärfe auf-
flammte. Die theologischen Hintergründe des schon länger schwelenden Kon-
flikts können hier beiseite bleiben, wichtig ist nur das Ergebnis: Mit Zustim-
mung der protestantischen Assessoren faßte die Mehrheit um Melanchthon in
interner Sitzung den Beschluß, die gnesiolutheranische Minderheit, die nun eine
öffentliche Verurteilung der von der ihrigen abweichenden Lehrmeinungen
vornehmen wollte, von der weiteren Teilnahme an den Verhandlungen auszu-
schließen361. Damit sah sich das Präsidium vor ein „nicht vorhergesehenes“
Problem gestellt: Zu befinden war über die – von den Betroffenen durch offizi-
ell eingelegten Protest bestrittene – Rechtmäßigkeit der Ausschließung, womit
die Frage verknüpft war, ob die Colloquenten als Beauftragte des Reichs oder
nur einer Konfession anzusehen waren.
Die Einzelheiten der mehrere Wochen dauernden Streitereien zwischen den
Konfessionsparteien über die Konsequenzen für das Colloquium interessieren
356 Bundschuh, S. 437 listet die Punkte auf.
357 Pollet, Corr. 4, S. 218
358 Seld an Herzog Albrecht, Worms, 15.9.1557 (BHStA München, Kurbayern ÄA 4306, fol 174r/v;
bei Goetz, Beiträge S. 91f. fehlt das „nit“).
359 Pflug an F., Worms 19.9.1557 (Pollet, Corr. 4, S. 314ff); Pollet nimmt an, das Schreiben sei
„postdatée“ (S. 316 Anm. 3).
360 Bundschuh, S. 453ff
361 Dazu eingehend Bundschuh, S. 458ff.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien