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KAPITEL 3
DIE ÜBERNAHME DES KAISERTUMS 1556/58
Die Verhandlungen mit Karl V. und den Kurfürsten
Die freiwillige Abdankung Kaiser Karls V. hat in der europäischen Geschichte
kaum eine Parallele. Zwar hatte es in der habsburgischen Sippe sechzig Jahre
zuvor den Verzicht des Grafen Sigmund von Tirol auf seine Herrschaft zugun-
sten Maximilians I. gegeben1, und man könnte auch an die Resignation Papst
Coelestins V.2 und an den Rücktritt des römischen Imperators Diocletian den-
ken3. Doch ist nicht bekannt, ob Karl V. darin Vorbilder für seinen Schritt ge-
sehen hat. Für die Reichsgeschichte bedeutete er ein Novum: Als Thronerledi-
gung kannte man bisher nur den Tod des regierenden Kaisers bzw. Königs oder
die Absetzung.
Daß bis zur endgültigen Übertragung der Kaiserwürde an Ferdinand über
zwei Jahre verstrichen, hatte mannigfache Gründe, die ebenso im deutschen
und europäischen politischen Kräftespiel wie bei den nächstbetroffenen Perso-
nen zu suchen sind. Der designierte Nachfolger, König Ferdinand, hatte den
ihn überraschenden „improvisierten“ Plan Karls zunächst durchkreuzen kön-
nen. Auch längerfristig war ihm die Absicht des Bruders wenig willkommen.
Gleich nach Abschluß des Augsburger Reichstages, ehe er wissen konnte, wie
der Kaiser auf seine Verweigerung reagieren würde, setzten die Bemühungen
des Königs ein, Karl die Abdankung und die kurzfristige Abreise nach Spanien
wenn schon nicht auszureden – Ferdinand kannte seinen Bruder gut genug, um
in Rechnung zu stellen, daß dessen Entschluß feststand, dem Reich den Rücken
zu kehren –, so doch erst einmal weiter hinauszuschieben und vor allem Mit-
sprache bei der Festlegung des Zeitpunktes und bei den Modalitäten der Aus-
führung zu gewinnen.
Die zwischen den beiden Brüdern geführte Diskussion ist erstmals 1854 von
Mignet auf der Basis des von Lanz publizierten Briefwechsels referiert worden4.
Nach ihm sind Maurenbrecher, Gachard, Turba, Holtzmann und zuletzt Lutz
auf einer durch spanische Akten und italienische Diplomatenberichte erweiterten
Quellengrundlage darauf eingegangen, wobei letztere durch allerlei Gerüchte und
Spekulationen eher verunklaren als erhellen. Der Anteil der beiden Söhne Philipp
und Maximilian sowie Gründe für Ferdinands anhaltendes Zögern sind von den
genannten Autoren behandelt worden. Unserer Fragestellung entsprechend kon-
zentrieren wir uns wiederum auf die Überlegungen Ferdinands5.
1 Wiesflecker, Kaiser Maximilian I., Bd. 1, S. 262
2 Dazu vgl. Baethgen, S. 168f; Herde, S. 127ff
3 Dazu Kolb, S. 139ff u. S. 150ff
4 Mignet, bes. S. 117ff
5 Das Kapitel war niedergeschrieben, ehe Neuhaus, Von Karl V., erschien. Wir sind unabhängig
voneinander zu kongruenten Ergebnissen gekommen.
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien