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Selds Gutachten 265
sei der schwierigste Auftrag, den er jemals bekommen habe55. Sowohl am An-
fang seines Gutachtens als auch im Verlauf seiner Ausführungen spricht Seld
Kaiser Ferdinand direkt an, um ihn auf besonders wichtige Aspekte eigens auf-
merksam zu machen56. Die Vorstellung fällt nicht ganz leicht, daß Ferdinand
die umfangreiche Expertise von 182 Seiten selbst gelesen hat oder habe lesen
wollen. Doch Seld scheint davon ausgegangen zu sein, denn er ist sehr bemüht,
allen möglichen Bedenken, die Ferdinand etwa hegen mochte, Rechnung zu
tragen.
Der wohldurchdachte Aufbau des Gutachtens, die Umsicht und Gründlich-
keit Selds in der Argumentation verdienen allen Respekt. Nach einer einleiten-
den historischen und politischen Würdigung des Problems gliedert Seld seine
Arbeit in vier Abschnitte. Im ersten Kapitel bespricht er Ausmaß und Grenzen
der päpstlichen Gewalt, wobei er zwischen der geistlichen und der weltlichen
Sphäre differenziert und besonders diejenigen Aspekte erörtert, durch die das
Kaisertum berührt wird; das führt ihn auch zu einer Behandlung der mittelal-
terlichen Translationstheorie57. Im zweiten Teil setzt er sich mit der wichtigsten
theoretischen Begründung für den päpstlichen Anspruch auf Oberhoheit, der
Lehre von den zwei Schwertern, auseinander und liefert dabei auch Elemente
für die „Kaiseridee“ Ferdinands. Seld gewinnt damit die Basis für sein Votum
zu der aktuellen Streitfrage, daß die Abdankung Karls V. und die Sukzession
Ferdinands rechtsgültig sind. Im dritten Abschnitt geht Seld auf die persönli-
chen und politischen Vorwürfe Pauls IV. gegen Ferdinand ein, und im vierten
Teil gibt er Empfehlungen, wie der Kaiser sich konkret verhalten möge. In der
Durchführung wechselt er geschickt zwischen mehreren Argumentationsebe-
nen, um in seiner Beweisführung keine Lücken offen zu lassen; gelegentlich
scheut er sich auch nicht, beißende Ironie oder formalistische Spitzfindigkeit als
Waffen einzusetzen.
Beachtlich ist die Breite der von Seld berücksichtigten Quellen und Literatur:
die führenden Kommentatoren des mittelalterlichen Rechts, sowohl Legisten
als auch Kanonisten, sind dem in Bologna promovierten Juristen selbstver-
ständlich vertraut, wobei er sich meistens gegen die Vertreter der kurialistischen
Position unter letzteren wendet, die die Basis der päpstlichen, von ihm zu wi-
derlegenden Auffassungen war; er versteht es aber, auch die Kurialisten auszu-
nutzen, wenn Rechte des Kaisers dadurch gestützt werden. Ferner hat er Kir-
chenväter – besonders gern Augustinus, Hieronymus und Ambrosius, aber
auch Gregor von Nazianz oder Cyprianus und andere –, Geschichtsschreiber
und staatstheoretische Traktate ausgewertet. Seine Liste in einem Brief an Vig-
lius van Zwichem, dem er von seiner Arbeit berichtete, ist keineswegs erschöp-
fend58, insgesamt sind es mehr als 50 Autoren, die er einmal oder öfter zitiert
hat. Die bekannten Streitschriften des 14. Jahrhunderts von Marsilius von Pa-
55 HHStA Wien, RK Rig 40, fol 221r/v: Seld an F., 4.9.1558; vgl. Goetz, Beiträge, S. 128 Anm. 1
56 Etwa durch die Wendung: „E. Mt. soll wissen...“
57 Grundlegend zu ihrer Geschichte einschließlich ihres Weiterlebens in der Frühen Neuzeit das
Buch von Goez.
58 Dort nennt er Blondus, Platina, Sabellicus, Cuspinian, Antonius von Roselli, Petrus del Monte,
Cataldinus Boncampagnus, Michael Ulcurrunus, Stephan Aufrerius (vgl. Vogel, S. 37f).
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien