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Selds Gutachten 279
villeicht bey gemainer stend deliberation steen wirdt, was sie nhumehr auch von
demselben halten“157. So verdeutlicht er noch einmal die Verwurzelung des
Kaisertums im deutschen Königtum158. Im übrigen laufen Selds taktische Rat-
schläge auf Abwarten oder Ignorieren hinaus. Von einem gewaltsamen Vorge-
hen gegen Rom nach dem Vorbild einiger früherer Kaiser, das „viele Leute“
wohl gern sehen würden, rät er ab, sowohl im Blick auf die türkische Front als
auch darum, weil Ferdinand als ein „guttiger fridliebender khayser“ sicher kein
Blutvergießen in der Christenheit wünsche159. Auch von einer neuen Gesandt-
schaft nach Rom oder einer Vermittlung durch die Kardinäle hält er nichts;
stattdessen sei der schon lange angekündigte Nuntius abzuwarten, um zu sehen,
ob der Papst einlenken wolle. Seld hatte allerdings große Zweifel daran, denn er
fügt eine lange Aufzählung von politischen und persönlichen Mißgriffen Pauls
IV. an, wohl auch in der Absicht, Ferdinands Abwehrwillen zu stärken bzw. ein
Nachgeben aus religiöser Ehrerbietung zu verhindern. Dennoch hält er eine
Verständigung für wünschenswert, weil bei Einleitung eines Absetzungsverfah-
rens zwar weniger eine juristische Niederlage des Kaisers zu befürchten sei –
jedenfalls nicht bei unparteiischen Richtern –, wohl aber der Verlust von
Reichsrechten in Italien. Auch das war ein Aspekt, um den Streit nicht eskalie-
ren zu lassen, nachdem Ferdinand eben erst durch seine Weigerung, das Reichs-
vikariat in Italien an Philipp II. zu übertragen, seine Absicht bekundet hatte, die
dortigen Kaiserrechte in der Hand zu behalten160. Sollte der Papst ein Verfahren
einleiten, bleibe die Appellation an ein „frey christlich Concilium“161. Das Ap-
pellationsverbot sei hier unwirksam, weil die Päpste selbst aus dem Streit mit
dem Reich eine Frage der Religion gemacht hätten und die Situtation so gefähr-
lich geworden sei, daß die Existenz der katholischen Kirche zumindest im
Reich bedroht sei; in solchen Fällen stehe das Konzil über dem Papst162. Wenn
Seld hier die sonst ständig von den Protestanten verwendete Formel benutzt, so
bedeutet das doch keine Annäherung an deren Position, sondern bringt seine
Auffassung zum Ausdruck, daß der Papst in diesem Fall nicht die Leitung des
Konzils beanspruchen könne163. Seld vertritt eine konziliaristische Position164,
die im äußersten Fall einen weiteren Schachzug gegen den Papst wegen Anma-
ßung von Befugnissen ermöglicht hätte; schwerlich dachte er daran, dem Konzil
die Entscheidung über eine reichsrechtliche Frage zuzuweisen. Er beruft sich
auf den in anderen Fragen auf der kurialen Linie argumentierenden Antonius
Roselli, dessen Schrift indessen bald darauf auf den ersten Index gesetzt wur-
de165.
157 fol 42v/ S. 182
158 Rankes Urteil (Reformation 5, S. 304f), die Haltung Ferdinands und Selds habe „eine gewisse
Verwandtschaft mit dem ersten Auftreten des Protestantismus“, ist schief.
159 fol 85r-v/ S.197
160 Dazu Kapitel 10, S. 655ff
161 fol 90v/ S. 200
162 fol 90v-91r/ S. 200
163 So auch Schwendenwein, S. 134
164 So auch Ritter, Geschichte 1, S. 144f
165 Eckermann, S. 157; Jedin, Konzil 1, S. 19
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien