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Freistellung und Gravamina 327
können. Durch die Nichterwähnung wurde dieser Weg aber auch nicht ver-
schüttet56. Da es einerseits ohnehin multilateraler Verhandlungen über die
Rahmenbedingungen des Konzils bedurfte57 und noch gar nicht abzusehen war,
wann man damit beginnen konnte, geschweige denn, wann das Konzil wirklich
zustandekam, andererseits aber die Protestanten wieder konzediert hatten, ein
Konzil sei an sich ein guter Weg58, mochte es günstiger sein, sie in der Zukunft
bei diesem Wort nehmen zu können. Hätte man jetzt ihren förmlichen Protest
provoziert, wäre das bis zur Unmöglichkeit erschwert worden59.
Freistellung und Gravamina
Die Anfrage der Proposition, wie denn nun prozediert werden solle, um die
Glaubensspaltung zu überwinden, war noch nicht abschließend behandelt, als
dem Kaiser durch zwei Eingaben der Protestanten (vom 11. und 12. Mai) und
eine etwas später von den Katholiken eingereichte Schrift vor Augen geführt
wurde, wie sehr jenes für ihn so wichtige Anliegen bei beiden Konfessionen
mittlerweile in den Hintergrund geraten war. In dem einen Papier wiederholten
die evangelischen Stände die Forderung nach „Freistellung“, also die Aufhe-
bung des Geistlichen Vorbehalts60, in dem anderen wurden Beschwerden über
angebliche Verletzungen des Religionsfriedens durch Katholiken vorgetragen61.
Ebenso listete die Eingabe der Katholiken vermeintliche Verstöße der Prote-
stanten gegen die Augsburger Vereinbarungen auf62.
Im Unterschied zu früheren Reichstagen, wo die Stände gemeinsame Grava-
mina über ihnen Anstößiges in der kaiserlichen Regierungspraxis oder Miß-
stände im Reich vorgelegt hatten, so zuletzt noch 1555 in Augsburg, traten
diesmal die beiden Religionsparteien gegeneinander an und versuchten, ein
Votum des Kaisers zu den eigenen Gunsten zu erlangen. Der Vorgang verdeut-
licht, daß die Reichsstände beider Konfessionen nunmehr den Religionsfrieden
zur Konsolidierung ihrer Position im Reich instrumentalisieren wollten. Ferdi-
nand wurde dadurch genötigt, sich auf Themen einzulassen, deren Diskussion
56 So auch das Urteil der bayerischen Gesandten (Goetz, Beiträge, S. 160).
57 Darauf hatte Philipp II. in seiner Weisung v. 27.5.1559 ausdrücklich hingewiesen (CDI 98, S.
80).
58 Herzog Christoph räumte am 1.7.1559 gegenüber dem französischen Gesandten ein, die Prote-
stanten hätten ein freies Universalkonzil bewilligt (Ernst, Bw. 4, S. 686).
59 Es ist daran zu erinnern, daß man seit Anfang Juli am Kaiserhof mit dem baldigen Ableben des
Papstes rechnete; ich halte es für möglich, daß Ferdinands Einlenken bei der Abschieds-Formel
davon beeinflußt worden ist. Sogar eine – verfrühte – Todesnachricht gelangte Anfang Juli nach
Augsburg (Blarer 2, S. 448: Brief v. 11.7.1559 an Abt Gerwig).
60 HHStA Wien, RK RTA 42, fol 109–115; dgl. ebda 43, fol 419–423 (nach letzterem wird zitiert).
61 Gedruckt bei Lehmann 1, S. 79–83.
62 Druck bei Lehmann 1, S. 83–89; Ritter, Geschichte 1, S. 226 Anm. 4 datiert nach bayerischen
Akten auf den 17.6., Westphal, S. 91, wohl mit Recht auf den 8.6.1559; Terminus ante quem ist
der 10.6., wie aus der ersten Antwort der Katholiken auf die protestantischen Gravamina her-
vorgeht (HHStA Wien, RK RTA 42, fol 134r-136v, Präsentationsvermerk von Seld). Der Be-
schluß zu ihrer Erarbeitung wurde bereits am 8.5. während einer Besprechung mehrerer geistli-
cher Fürsten gefaßt (Bucholtz 7, S. 429f, vgl. auch Blarer 2, S. 445).
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien