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Kapitel 7: Kaiser Ferdinand und die dritte Tagungsperiode des
Tridentinums420
Teilnehmern neu unterzeichnete Kopie übersandt worden23. Aber man wußte
am Kaiserhof, daß die theologischen Dissonanzen weiter bestanden24 und daß
die im Sommer in Erfurt zusammengetretene Konferenz bevollmächtigter Räte
mehrerer evangelischer Fürsten zwar die Ablehnung des Konzils bekräftigt
hatte, in anderen Fragen aber keine völlige Übereinstimmung erzielt hatte25. Im
November gelangte der Kaiser in den Besitz eines eindeutigen Beweises, näm-
lich jener Denkschrift, die der Protektor der Flacianer, Herzog Johann Fried-
rich von Sachsen, in Naumburg seinen Glaubensgenossen überreicht hatte26.
Mithin ist anzunehmen, daß die kaiserlichen Räte den willfährigen Nuntius mit
jenen Meinungen „versorgten“, damit man in Rom nachdenklich würde27.
Wenn Ferdinand daran festhielt, das Konzil müsse den „Abgewichenen“ ak-
zeptable Rahmenbedingungen bieten – ein wesentlicher Teil der Bemühungen
seiner Oratoren während der ersten Beratungsphase in Trient war durch dieses
Motiv bestimmt –, so korrespondierte das mit seiner Ansicht, die Erörterung
der dogmatischen Fragen sei zurückzustellen; er hielt sie nicht zuletzt darum
für minder dringlich, weil er in jener andauernden Zerstrittenheit der evangeli-
schen Theologen den Beweis dafür sah, daß die katholische Kirche im Besitz
des wahren Glaubensverständnisses sei28. Darum rückte ins Zentrum der kai-
serlichen Konzilspolitik der andere oben genannte Kernpunkt: Reform der
Kirche und im Zusammenhang damit die Gewährung einiger Konzessionen, um
ihrem weiteren Niedergang Einhalt zu gebieten. Wir haben bereits gesehen, wie
die Kirchenreform Ferdinand seit Jahrzehnten beschäftigte und daß sie für ihn
selbstverständlich zu den Aufgaben des Konzils gehörte. Von Gienger wurde er
darin immer wieder bestärkt. Ebenso hielt der Habsburger seit mehr als zwan-
zig Jahren jene Konzessionen für ein erwägenswertes Heilmittel. Leitmotivisch
ziehen sich diese Ansichten durch seine konzilspolitischen Äußerungen.
Schon in seiner ersten eingehenden Stellungnahme zur Ausgestaltung des
Konzils vom Juni 1560 hatte Ferdinand den Verfall der Sitten als Hauptursache
für den Niedergang der katholischen Kirche bezeichnet und die allgemeine
Reform der Kirche für vordringlich erklärt29. Er sah richtig, daß es zur Rück-
gewinnung größerer Teile der Bevölkerung einer Erhöhung der moralischen
Glaubwürdigkeit der kirchlichen Vertreter bedurfte. Und aus den Konflikten
mit seinen Landständen hatte er die Erkenntnis gewonnen, wie wichtig für
23 Druck des Begleitschreibens v. 1.2.1561 bei Lehmann 2, S. 1112; zu den vorausgehenden Ver-
handlungen Calinich, S. 128ff
24 Hosius machte Maximilian im April darauf aufmerksam (NB II 1, S. 239f: Hosius an Borromeo,
7.4.1561). Der hatte es auch den Akten entnehmen können, die ihm Herzog Christoph am
24.3.1561 zugeschickt hatte (Le Bret, S. 194f).
25 NB II 1, S. 268: Delfino an Borromeo, 1.7.1561. Zur Erfurter Konferenz Kluckhohn, Friedrich
der Fromme, S. 100f
26 HHStA Wien, RK RelA 6, fol 38r-49r: Timotheus Jung an F., 21.11.1561; nach einer Notiz Selds
hat Ferdinand sie aufmerksam studiert. Zum Inhalt vgl. Heidenhain, Unionspolitik, S. 241f
27 Eder, Reformvorschläge, S. 80, hat die Äußerungen der Räte für bare Münze genommen, ob-
wohl schon Steinherz, NB II 1, S. CVI, Zweifel andeutete.
28 Vgl. dazu Laubach, Mahnschreiben, S. 107, 115,116
29 CT 8, S. 39ff, bes. S. 40 u. 45f (vgl. Kapitel 6, S. 391f) ; im Entwurf stand einmal „Reform an
Haupt und Gliedern“; die provozierende Formel wurde gestrichen (CT 8, S. 46 Anm.).
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
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Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Title
- Ferdinand I. als Kaiser
- Subtitle
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Author
- Ernst Laubach
- Publisher
- Aschendorff Verlag
- Location
- Münster
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 786
- Keywords
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Category
- Biographien