Page - 189 - in Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918 - Metamorphosen einer Sammlung
Image of the Page - 189 -
Text of the Page - 189 -
DIE FIDEIKOMMISSBIBLIOTHEK UND DIE PRIVATBIBLIOTHEK FRANZ JOSEPHS 189
Dazu kam noch, daß Seine Majestät die Gnade hatten mich unmittelbar in
Ihrer nächsten Nähe, nämlich in Ihrem Arbeitskabinete von früh bis Abends
durch volle 7 Jahre zu Arbeiten zu verwenden, welche nicht für die Bibliothek
sondern für Gegenstände aus dem Bereiche der currenten Staatsgeschäfte be-
stimmt waren. Ueberdieß lag mir ob, über fast alle im geheimen Kabinetswege
eingelaufenen literarischen Eingaben oft sehr umständliche Vorträge [fol. 1v]
zur Allerhöchsten Schlußfassung zu erstatten.
Ich erlaube mir diesen letzteren Umstand nicht aus eitler Ruhmredigkeit,
sondern darum anzuführen um zu zeigen; wie wenig etwa Veranlassung da
war, die Hände müssig in den Schoß zu legen. Dazu kam noch, daß mir in der
ersten Zeit nur ein einziger Beamter nämlich, ein geisteskranker italienischer
Abate628 als Copist beigegeben wurde.
Und dennoch kann die Bibliothek einen Catalog aufweisen, der sich jetzt
auf 96 groß folio Bände (worunter 47 bloß [für] die Portrtäsammlung) beläuft;
und den Fachmänner wie der Engländer Dibdin, ferner Jäcke [recte Jäck] und
andere in ihren Schriften mit Auszeichnung erwähnten.629
Nach dem Tode Kaisers Franz wurde mir ganz in derselben Weise die Bib-
liothek Seiner Majestät Kaiser Ferdinand ohne nähere Revision wieder in
Bausch und Bogen übergeben. Hier fand sich, daß nicht einmahl ein ordentli-
cher Catalog abgefaßt war. Es mußte also die ganze Bibliothek neu beschrie-
ben, die sehr zahlreichen Doubletten ausgeschieden und jedes Buch mit einer
Stampile (die Chiffre des Kaisers) versehen werden. Dies in der kürzesten
Kürze die geschichtliche Skizze der Bibliothek zur Würdigung eines hohen
Ministeriums!
[fol. 2r] Wie ich ergebenst bemerkte, besteht also die Masse der betreffenden
Bibliotheks Cataloge aus 96 groß folio Bänden – worunter 47 für die Porträten-
sammlung – nebst 7400 losen Blättern eines Zettelkataloges über die Kupfer-
stiche, und über 2400 derlei Zettel über Handzeichnungen und Lithographien.
Und alle diese Massen sollten in dem Zeitraume von 8 Monaten nicht bloß
revidirt; sondern auch copirt werden können? Selbst wenn ich und die beiden
Herrn Bibliotheksbeamten uns verdreifachen könnten, wir wären es nicht im
Stande!
Ich erlaube es mir zu wiederholen, daß mir die Bibliothek ohne alle Revi-
sion übergeben worden ist. Soll ich nun bei einem Acte, wie der gegenwär-
tige, für alles einstehen; so kann ich nicht die Kataloge so leichthin, sondern
nach einer genauen Revision an das Fideicommiß Curatorium abgeben. Nur
wer einmal selbst bibliothekarische Arbeiten mitgemacht hat; weiß was es
628 Giuseppe Caselli, vgl. dazu Huber-Frischeis/Knieling/Valenta, Privatbibliothek, 156–166.
629 Zu Joachim Heinrich Jäck und Thomas Frognall Dibdin siehe Huber-Frischeis/Knieling/
Valenta, Privatbibliothek, 102f.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Title
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Subtitle
- Metamorphosen einer Sammlung
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1073
- Categories
- Geschichte Chroniken