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BIBLIOTHEK UND ÖFFENTLICHKEIT 705
nalbibliothek, wodurch lediglich ein seit Jahrzehnten tatsächlich bestehender
Zustand kodifiziert würde.“1004
In weitaus größerem Umfang als durch das Studium innerhalb der Biblio-
theksräumlichkeiten wurde die Fideikommissbibliothek durch Außenste-
hende offenbar mittels Entlehnung benutzt. Jedenfalls sind dazu in ungleich
höherem Maß schriftliche Aufzeichnungen und Korrespondenzen vorhan-
den, was natürlich auch dem Umstand geschuldet sein kann, dass der Ver-
leih aus Gründen der Sicherheit eine derartige Dokumentation erforderte.
Der erste wichtige Schritt war die Einführung eines Ausleihjournales, das
Moritz Alois von Becker gleich bei seinem Amtsantritt 1870 anlegte und in
dem rückwirkend auch noch die im Vorjahr entliehenen Werke erfasst wur-
den (vgl. Grafik 4). Bis zum Jahr 1875 wuchs die Zahl der Einträge nicht
über die erste Seite hinaus, danach stieg sie jedoch sprunghaft an. Bis 1879
waren 600 Entlehnungen verzeichnet worden, ab 1880 wurden sie nur noch
jährlich fortlaufend gezählt. Ihre Zahl pendelte sich dann bei 200 bis 250
entlehnten Werken pro Jahr ein, wobei zeitweilige auffällige Rückgänge
durch die Unbenutzbarkeit der Sammlung während und vor den Übersied-
lungen zu erklären sind.1005 Angesichts dieser Zahlen ist es gerechtfertigt
von massenhafter Inanspruchnahme zu sprechen, was einmal mehr als Indiz
für die Transformation der Fideikommissbibliothek zu einem quasi-öffent-
lichen Institut gedeutet werden kann. Die Zahlen allein reflektieren diese
Entwicklung jedoch nur bedingt, insofern sie über die Beschränkungen und
Privilegien beim Verleih nichts aussagen.
Denn die Entlehnungen der ersten Zeit dürften hauptsächlich auf das
Konto von Personen gehen, die einen privilegierten Zugang zur Fideikom-
missbibliothek hatten: namhafte Persönlichkeiten oder Beamte, die mit der
Belegschaft der Sammlung oder ihrer vorgesetzten Behörde in persönlichem
oder „diensthöflichen“ Kontakt standen oder durch Intervention von höhe-
rer Stelle die Erlaubnis erhielten, Werke aus der Sammlung zu entlehnen.
Besonders häufig finden wir im Ausleihjournal im Übrigen die Namen der
Beamten der Fideikommissbibliothek,1006 und auch Mitarbeiter der Gene-
1004 Wien, ÖStA, AVA, Unterrichtsministerium, Kt. 545 (NB): Stellungnahme Payers an das
Unterrichtsamt vom 25.10.1920 zur künftigen Verwaltung der Fideikommissbibliothek.
1005 1895 im Zuge des Abbruchs eines Teiles des Augustinergangtraktes und der Absiedlung
der dortigen Bestände in den Augustinergang. Zwischen 1898 und 1905 gab es insgesamt
296 Entlehnungen, wobei die meisten in die Jahre 1904 und 1905 fallen, also in die Zeit
nach der Übersiedelung 1903. Einbrüche gab es des Weiteren bei der Übersiedlung 1908
und beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Womit der Rückgang im Jahr 1882 zusam-
menhängt, ist hingegen unklar.
1006 Karpf wurde sogar noch im Mai 1914, also rund acht Jahre nach seiner Pensionierung,
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Title
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Subtitle
- Metamorphosen einer Sammlung
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Size
- 17.4 x 24.5 cm
- Pages
- 1073
- Categories
- Geschichte Chroniken