Page - 19 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Image of the Page - 19 -
Text of the Page - 19 -
Aufmerksamkeit zu dem mit soviel Interesse Beabsichtigten nicht vielmehr steigert. Wenn
jemand in einer wichtigen Rede oder mündlichen Verhandlung durch ein Versprechen das
Gegenteil von dem sagt, was er zu sagen beabsichtigt, so ist das nach der psycho-physiologischen
oder Aufmerksamkeitstheorie kaum zu erklären.
Es gibt auch bei den Fehlleistungen so viele kleine Nebenerscheinungen, die man nicht versteht
und die uns durch die bisherigen Aufklärungen nicht nähergebracht werden. Wenn man z. B.
einen Namen zeitweilig vergessen hat, so ärgert man sich darüber, will ihn durchaus erinnern und
kann von der Aufgabe nicht ablassen. Warum gelingt es dem Geärgerten so überaus selten, seine
Aufmerksamkeit, wie er doch möchte, auf das Wort zu lenken, das ihm, wie er sagt, »auf der
Zunge liegt« und das er sofort erkennt, wenn es vor ihm ausgesprochen wird? Oder: es kommen
Fälle vor, in denen die Fehlleistungen sich vervielfältigen, sich miteinander verketten, einander
ersetzen. Das erste Mal hatte man ein Rendezvous vergessen; das nächste Mal, für das man den
Vorsatz, ja nicht zu vergessen, gefaßt hat, stellt es sich heraus, daß man sich irrtümlich eine
andere Stunde gemerkt hat. Man sucht sich auf Umwegen auf ein vergessenes Wort zu besinnen,
dabei entfällt einem ein zweiter Name, der beim Aufsuchen des ersten hätte behilflich sein
können. Geht man jetzt diesem zweiten Namen nach, so entzieht sich ein dritter usw. Dasselbe
kann sich bekanntlich auch bei Druckfehlern ereignen, die ja als Fehlleistungen des Setzers
aufzufassen sind. Ein solcher hartnäckiger Druckfehler soll sich einmal in ein
sozialdemokratisches Blatt eingeschlichen haben. In dem Berichte über eine gewisse Festlichkeit
war zu lesen: Unter den Anwesenden bemerkte man auch seine Hoheit, den Kornprinzen. Am
nächsten Tag wurde eine Korrektur versucht. Das Blatt entschuldigte sich und schrieb: Es hätte
natürlich heißen sollen: den Knorprinzen. Man spricht in solchen Fällen gerne vom
Druckfehlerteufel, vom Kobold des Setzkastens und dergleichen, Ausdrücke, die jedenfalls über
eine psycho-physiologische Theorie des Druckfehlers hinausgehen.
Ich weiß auch nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß man das Versprechen provozieren, sozusagen
durch Suggestion hervorrufen kann. Eine Anekdote berichtet hiezu: Als einmal ein Neuling auf
der Bühne mit der wichtigen Rolle betraut war, in der Jungfrau von Orleans dem König zu
melden, daß der Connetable sein Schwert zurückschickt, machte sich ein Heldendarsteller den
Scherz, während der Probe dem schüchternen Anfänger wiederholt anstatt dieses Textes
vorzusagen: Der Komfortabel schickt sein Pferd zurück, und er erreichte seine Absicht. In der
Vorstellung debütierte der Unglückliche wirklich mit dieser abgeänderten Meldung, obwohl er
genug gewarnt war oder vielleicht gerade darum.
Alle diese kleinen Züge der Fehlleistungen werden durch die Theorie der
Aufmerksamkeitsentziehung nicht gerade aufgeklärt. Aber darum braucht diese Theorie noch
nicht falsch zu sein. Es fehlt ihr vielleicht an etwas, an einer Ergänzung, damit sie voll
befriedigend werde. Aber auch manche der Fehlleistungen selbst können noch von einer anderen
Seite betrachtet werden.
Greifen wir als die für unsere Absichten geeignetste unter den Fehlleistungen das Versprechen
heraus. Wir könnten ebensogut das Verschreiben oder Verlesen wählen. Da müssen wir uns denn
einmal sagen, daß wir bisher nur danach gefragt haben, wann, unter welchen Bedingungen man
sich verspricht, und auch nur darauf eine Antwort bekommen haben. Man kann aber auch sein
Interesse anders richten und wissen wollen, warum man sich gerade in dieser Weise verspricht
und in keiner anderen; man kann das in Betracht ziehen, was beim Versprechen herauskommt.
Sie sehen ein, solange man nicht diese Frage beantwortet, den Effekt des Versprechens aufklärt,
19
back to the
book Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)"
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin