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3. Vorlesung
Die Fehlleistungen (Fortsetzung)
Meine Damen und Herren! Wir sind das vorigemal auf den Einfall gekommen, die Fehlleistung
nicht im Verhältnis zu der von ihr gestörten, beabsichtigten Leistung zu betrachten, sondern an
und für sich, haben den Eindruck empfangen, daß sie in einzelnen Fällen ihren eigenen Sinn zu
verraten scheint, und haben uns gesagt, wenn es in größerem Umfange zu bestätigen wäre, daß
die Fehlleistung einen Sinn hat, so würde uns dieser Sinn bald interessanter werden als die
Untersuchung der Umstände, unter denen die Fehlleistung zustande kommt.
Einigen wir uns noch einmal darüber, was wir unter dem »Sinn« eines psychischen Vorganges
verstehen wollen. Nichts anderes als die Absicht, der er dient, und seine Stellung in einer
psychischen Reihe. Für die meisten unserer Untersuchungen können wir »Sinn« auch durch
»Absicht«, »Tendenz« ersetzen. War es also nur ein täuschender Schein oder eine poetische
Erhöhung der Fehlleistung, wenn wir in ihr eine Absicht zu erkennen glaubten?
Bleiben wir den Beispielen des Versprechens treu und überblicken eine größere Anzahl solcher
Beobachtungen. Da finden wir denn ganze Kategorien von Fällen, in denen die Absicht, der Sinn
des Versprechens klar zutage liegt. Vor allem die, in denen das Gegenteil an die Stelle des
Beabsichtigten tritt. Der Präsident sagt in der Eröffnungsrede: »Ich erkläre die Sitzung für
geschlossen.« Das ist doch unzweideutig. Sinn und Absicht seiner Fehlrede ist, daß er die Sitzung
schließen will. »Er sagt es ja selbst«, möchte man dazu zitieren; wir brauchen ihn ja nur beim
Wort zu nehmen. Stören Sie mich jetzt nicht mit der Einrede, daß dies nicht möglich ist, daß wir
ja wissen, er wollte die Sitzung nicht schließen, sondern eröffnen, und daß er selbst, den wir eben
als oberste Instanz anerkannt haben, bestätigen kann, daß er eröffnen wollte. Sie vergessen dabei,
daß wir übereingekommen sind, die Fehlleistung zunächst an und für sich zu betrachten; ihr
Verhältnis zur Intention, die sie stört, soll erst später zur Sprache kommen. Sie machen sich sonst
eines logischen Fehlers schuldig, durch den Sie das in Behandlung stehende Problem glatt
wegeskamotieren, was im Englischen begging the question heißt.
In anderen Fällen, wo man sich nicht gerade zum Gegenteil versprochen hat, kann doch durch das
Versprechen ein gegensätzlicher Sinn zum Ausdruck kommen. »Ich bin nicht geneigt, die
Verdienste meines Vorgängers zu würdigen.« Geneigt ist nicht das Gegenteil von geeignet, aber
es ist ein offenes Geständnis, in scharfem Gegensatz zur Situation, in welcher der Redner
sprechen soll.
In noch anderen Fällen fügt das Versprechen zu dem beabsichtigten Sinne einfach einen zweiten
hinzu. Der Satz hört sich dann an wie eine Zusammenziehung, Verkürzung, Verdichtung aus
mehreren Sätzen. So die energische Dame: Er kann essen und trinken, was ich will. Das ist
gerade so, als ob sie erzählt hätte: Er kann essen und trinken, was er will; aber was hat er denn zu
wollen? An seiner statt will ich. Die Versprechen machen oft den Eindruck solcher
Verkürzungen, z.
B. wenn ein Anatomieprofessor nach seinem Vortrag über die Nasenhöhle
fragt, ob die Hörer es auch verstanden haben, und ob der allgemeinen Bejahung fortsetzt: Ich
glaube kaum, denn die Leute, welche die Nasenhöhle verstehen, kann man selbst in einer
Millionenstadt an einem Finger… Pardon, an den Fingern einer Hand abzählen. Die verkürzte
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin