Page - 27 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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anderes vermuten, als daß sich eine Tendenz zum Ausdruck bringen will, die der vorgeschobenen
Verehrung energisch widerspricht und etwa sagen will: Glaubt doch nicht daran, das ist nicht
mein Ernst, ich pfeif auf den Kerl u.
dgl. Ganz Ähnliches gilt für Versprechen, die aus harmlosen
Worten unanständige und obszöne machen, wie Apopos für Apropos, oder Eischeißweibchen für
Eiweißscheibchen. (Meringer und Mayer.)
Wir kennen bei vielen Menschen eine solche Tendenz, einem gewissen Lustgewinn zuliebe
harmlose Worte absichtlich in obszöne zu entstellen; sie gilt für witzig, und in Wirklichkeit
müssen wir bei einem Menschen, von dem wir solches hören, erst erkunden, ob er es absichtlich
als Witz geäußert hat oder ob es ihm als Versprechen passiert ist.
Nun, da hätten wir ja mit verhältnismäßig geringer Mühe das Rätsel der Fehlleistungen gelöst!
Sie sind nicht Zufälligkeiten, sondern ernsthafte seelische Akte, sie haben ihren Sinn, sie
entstehen durch das Zusammenwirken – vielleicht besser: Gegeneinanderwirken zweier
verschiedener Absichten. Aber nun kann ich auch verstehen, daß Sie mich mit einer Fülle von
Fragen und Zweifeln überschütten wollen, die zu beantworten und zu erledigen sind, ehe wir uns
dieses ersten Resultats unserer Arbeit freuen dürfen. Ich will Sie gewiß nicht zu voreiligen
Entscheidungen antreiben. Lassen Sie uns alles der Reihe nach, eines nach dem anderen, in kühle
Erwägung ziehen.
Was wollen Sie mir wohl sagen? Ob ich meine, daß diese Aufklärung für alle Fälle von
Versprechen gilt oder nur für eine gewisse Anzahl? Ob man dieselbe Auffassung auch auf die
vielen anderen Arten von Fehlleistungen ausdehnen darf, auf das Verlesen, Verschreiben,
Vergessen, Vergreifen, Verlegen usw.? Was denn die Momente der Ermüdung, Erregung,
Zerstreutheit, die Aufmerksamkeitsstörung angesichts der psychischen Natur der Fehlleistungen
noch zu bedeuten haben? Ferner, man sieht ja wohl, daß von den beiden konkurrierenden
Tendenzen der Fehlleistungen die eine immer offenkundig ist, die andere aber nicht immer. Was
man dann tut, um diese letztere zu erraten, und wenn man glaubt, sie erraten zu haben, wie man
den Nachweis führt, daß sie nicht bloß wahrscheinlich, sondern die einzig richtige ist? Haben Sie
noch etwas zu fragen? Wenn nicht, so setze ich selbst fort. Ich erinnere Sie daran, daß uns
eigentlich an den Fehlleistungen selbst nicht viel gelegen ist, daß wir aus ihrem Studium nur
etwas für die Psychoanalyse Verwertbares lernen wollten. Darum stelle ich die Frage auf: was
sind das für Absichten oder Tendenzen, die andere in solcher Weise stören können, und welche
Beziehungen bestehen zwischen den störenden Tendenzen und den gestörten? So fängt unsere
Arbeit erst nach der Lösung des Problems von neuem an.
Also, ob dies die Aufklärung aller Fälle von Versprechen ist? Ich bin sehr geneigt, dies zu
glauben, und zwar darum, weil sich jedesmal, so oft man einen Fall von Versprechen untersucht,
eine derartige Auflösung finden läßt. Aber es läßt sich auch nicht beweisen, daß ein Versprechen
ohne solchen Mechanismus nicht vorfallen kann. Es mag so sein; für uns ist es theoretisch
gleichgültig, denn die Schlüsse, welche wir für die Einführung in die Psychoanalyse ziehen
wollen, bleiben bestehen, wenn auch nur, was gewiß nicht der Fall ist, eine Minderzahl von
Fällen des Versprechens unserer Auffassung unterliegen sollte. Die nächste Frage, ob wir auf die
anderen Arten der Fehlleistungen das ausdehnen dürfen, was sich uns für das Versprechen
ergeben hat, will ich vorgreifend mit ja beantworten. Sie werden sich selbst davon überzeugen,
wenn wir uns dazu wenden, Beispiele des Verschreibens, Vergreifens usw. in Untersuchung zu
ziehen. Ich schlage Ihnen aber aus technischen Gründen vor, diese Arbeit aufzuschieben, bis wir
das Versprechen selbst noch gründlicher behandelt haben.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin