Page - 28 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Die Frage, was die von den Autoren in den Vordergrund gerückten Momente der
Zirkulationsstörung, Ermüdung, Erregung, Zerstreutheit, die Theorie der
Aufmerksamkeitsstörung uns noch bedeuten können, wenn wir den beschriebenen psychischen
Mechanismus des Versprechens annehmen, verdient eine eingehendere Beantwortung. Bemerken
Sie wohl, wir bestreiten diese Momente nicht. Es kommt überhaupt nicht so häufig vor, daß die
Psychoanalyse etwas bestreitet, was von anderer Seite behauptet wird; sie fügt in der Regel nur
etwas Neues hinzu, und gelegentlich trifft es sich freilich, daß dies bisher Übersehene und nun
neu Dazugekommene gerade das Wesentliche ist. Der Einfluß der physiologischen Dispositionen,
die durch leichtes Unwohlsein, Zirkulationsstörungen, Erschöpfungszustände gegeben werden, ist
für das Zustandekommen des Versprechens ohne weiteres anzuerkennen; tägliche und
persönliche Erfahrung kann Sie davon überzeugen. Aber wie wenig ist damit erklärt! Vor allem
sind es nicht notwendige Bedingungen der Fehlleistung. Das Versprechen ist ebensowohl bei
voller Gesundheit und normalem Befinden möglich. Diese körperlichen Momente haben also nur
den Wert von Erleichterungen und Begünstigungen für den eigentümlichen seelischen
Mechanismus des Versprechens. Ich habe für diese Beziehung einmal ein Gleichnis gebraucht,
das ich nun wiederholen werde, weil ich es durch kein besseres zu ersetzen weiß. Nehmen Sie an,
ich ginge in dunkler Nachtstunde an einem einsamen Orte, würde dort von einem Strolch
überfallen, der mir Uhr und Börse wegnimmt, und trüge dann, weil ich das Gesicht des Räubers
nicht deutlich gesehen habe, meine Klage auf der nächsten Polizeistation mit den Worten vor:
Einsamkeit und Dunkelheit haben mich soeben meiner Kostbarkeiten beraubt. Der
Polizeikommissär kann mir darauf sagen: Sie scheinen da mit Unrecht einer extrem
mechanistischen Auffassung zu huldigen. Stellen wir den Sachverhalt lieber so dar: Unter dem
Schutz der Dunkelheit, von der Einsamkeit begünstigt, hat Ihnen ein unbekannter Räuber Ihre
Wertsachen entrissen. Die wesentliche Aufgabe an Ihrem Falle scheint mir zu sein, daß wir den
Räuber ausfindig machen. Vielleicht können wir ihm dann den Raub wieder abnehmen.
Die psycho-physiologischen Momente wie Aufregung, Zerstreutheit, Aufmerksamkeitsstörung
leisten uns offenbar sehr wenig für die Zwecke der Erklärung. Es sind nur Redensarten, spanische
Wände, hinter welche zu gucken wir uns nicht abhalten lassen sollen. Es fragt sich vielmehr, was
hier die Erregung, die besondere Ablenkung der Aufmerksamkeit hervorgerufen hat. Die
Lauteinflüsse, Wortähnlichkeiten und die von den Worten auslaufenden gebräuchlichen
Assoziationen sind wiederum als bedeutsam anzuerkennen. Sie erleichtern das Versprechen,
indem sie ihm die Wege weisen, die es wandeln kann. Aber wenn ich einen Weg vor mir habe, ist
damit auch wie selbstverständlich entschieden, daß ich ihn gehen werde? Es bedarf noch eines
Motivs, damit ich mich zu ihm entschließe, und überdies einer Kraft, die mich auf diesem Wege
vorwärts bringt. Diese Laut- und Wortbeziehungen sind also auch nur wie die körperlichen
Dispositionen Begünstigungen des Versprechens und können seine eigentliche Aufklärung nicht
geben. Denken Sie doch daran, in einer ungeheuern Überzahl von Fällen wird meine Rede nicht
durch den Umstand gestört, daß die von mir gebrauchten Worte durch Klangähnlichkeit an
andere erinnern, daß sie mit ihren Gegenteilen innig verknüpft sind oder daß gebräuchliche
Assoziationen von ihnen ausgehen. Man könnte noch mit dem Philosophen Wundt die Auskunft
finden, daß das Versprechen zustande kommt, wenn infolge von körperlicher Erschöpfung die
Assoziationsneigungen die Oberhand über die sonstige Redeintention gewinnen. Das ließe sich
sehr gut hören, wenn dem nicht die Erfahrung widerspräche, nach deren Zeugnis in einer Reihe
von Fällen die körperlichen, in einer anderen die Assoziationsbegünstigungen des Versprechens
vermißt werden.
Besonders interessant ist mir aber Ihre nächste Frage, auf welche Weise man die beiden
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin