Page - 38 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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ausgeführten, anscheinend zwecklosen Verrichtungen an unserer Kleidung, Teilen unseres
Körpers, an Gegenständen, die uns erreichbar sind, sowie die Unterlassungen derselben, ferner
die Melodien, die wir vor uns hinsummen. Ich vertrete vor Ihnen die Behauptung, daß alle diese
Phänomene sinnreich und deutbar sind in derselben Weise wie die Fehlhandlungen, kleine
Anzeichen von anderen wichtigeren seelischen Vorgängen, vollgültige psychische Akte. Aber ich
gedenke bei dieser neuen Erweiterung des Gebiets seelischer Erscheinungen nicht zu verweilen,
sondern zu den Fehlleistungen zurückzukehren, an denen sich die für die Psychoanalyse
wichtigen Fragestellungen mit weit größerer Deutlichkeit herausarbeiten lassen.
Die interessantesten Fragen, die wir bei den Fehlleistungen gestellt und noch nicht beantwortet
haben, sind wohl die folgenden: Wir haben gesagt, daß die Fehlleistungen Ergebnisse der
Interferenz von zwei verschiedenen Intentionen sind, von denen die eine die gestörte, die andere
die störende heißen kann. Die gestörten Intentionen geben zu weiteren Fragen keinen Anlaß, aber
von den anderen wollen wir wissen, erstens, was sind das für Intentionen, die als Störung anderer
auftreten, und zweitens, wie verhalten sich die störenden zu den gestörten?
Gestatten Sie, daß ich wiederum das Versprechen zum Repräsentanten der ganzen Gattung
nehme und daß ich die zweite Frage eher beantworte als die erste.
Die störende Intention beim Versprechen kann in inhaltlicher Beziehung zur gestörten stehen,
dann enthält sie einen Widerspruch gegen sie, eine Berichtigung oder Ergänzung zu ihr. Oder, der
dunklere und interessantere Fall, die störende Intention hat inhaltlich nichts mit der gestörten zu
tun.
Belege für die erstere der beiden Beziehungen können wir in den uns bereits bekannten und in
ähnlichen Beispielen mühelos finden. Fast in allen Fällen von Versprechen zum Gegenteil drückt
die störende Intention den Gegensatz zur gestörten aus, ist die Fehlleistung die Darstellung des
Konflikts zwischen zwei unvereinbaren Strebungen. Ich erkläre die Sitzung für eröffnet, möchte
sie aber lieber schon geschlossen haben, ist der Sinn des Versprechens des Präsidenten. Eine
politische Zeitung, die der Bestechlichkeit beschuldigt worden ist, verteidigt sich in einem
Artikel, der in den Worten gipfeln soll: Unsere Leser werden uns das Zeugnis ausstellen, daß wir
immer in uneigennützigster Weise für das Wohl der Allgemeinheit eingetreten sind. Der mit der
Abfassung der Verteidigung betraute Redakteur schreibt aber: in eigennützigster Weise. Das
heißt, er denkt: So muß ich zwar schreiben, aber ich weiß es anders. Ein Volksvertreter, der dazu
auffordert, dem Kaiser rückhaltlos die Wahrheit zu sagen, muß eine Stimme in seinem Innern
anhören, die ob seiner Kühnheit erschrickt und durch ein Versprechen das rückhaltlos in
rückgratlos verwandelt[7].
In den Ihnen bekannten Beispielen, die den Eindruck von Zusammenziehungen und
Verkürzungen machen, handelt es sich um Berichtigungen, Zusätze oder Fortsetzungen, mit
denen sich eine zweite Tendenz neben der ersten zur Geltung bringt. Es sind da Dinge zum
Vorschein gekommen, aber sag’ es lieber gerad’ heraus, es waren Schweinereien; also: es sind
Dinge zum Vorschwein gekommen. – Die Leute, die das verstehen, kann man an den Fingern
einer Hand abzählen; aber nein, es gibt doch eigentlich nur einen, der das versteht, also: an einem
Finger abzählen. – Oder, mein Mann kann essen und trinken, was er will. Aber Sie wissen ja, ich
dulde es überhaupt nicht, daß er etwas will; also: er darf essen und trinken, was ich will. In all
diesen Fällen geht also das Versprechen aus dem Inhalt der gestörten Intention selbst hervor oder
es knüpft an ihn an.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin