Page - 42 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Image of the Page - 42 -
Text of the Page - 42 -
soll, es sei dem Redner gleichgültig, wie er die Muttersprache behandle. Die zweite
kompensierende Entstellung hat geradezu die Absicht, den Hörer auf die erste aufmerksam zu
machen und ihm zu versichern, daß sie auch dem Redner nicht entgangen ist. Die häufigsten,
einfachsten und geringfügigsten Fälle des Versprechens bestehen in Zusammenziehungen und
Vorklängen, die sich an unscheinbaren Redeteilen äußern. Man verspricht sich in einem längeren
Satz z. B. derart, daß das letzte Wort der beabsichtigten Redeintention vorklingt. Das macht den
Eindruck einer gewissen Ungeduld, mit dem Satze fertig zu werden, und bezeugt im allgemeinen
ein gewisses Widerstreben gegen die Mitteilung dieses Satzes oder gegen die Rede überhaupt.
Wir kommen so zu Grenzfällen, in denen sich die Unterschiede zwischen der psychoanalytischen
und der gemeinen physiologischen Auffassung des Versprechens vermischen. Wir nehmen an,
daß in diesen Fällen eine die Redeintention störende Tendenz vorhanden ist; sie kann aber nur
anzeigen, daß sie vorhanden ist, und nicht, was sie selbst beabsichtigt. Die Störung, die sie
hervorruft, folgt dann irgendwelchen Lautbeeinflussungen oder Assoziationsanziehungen und
kann als Ablenkung der Aufmerksamkeit von der Redeintention aufgefaßt werden. Aber weder
diese Aufmerksamkeitsstörung noch die wirksam gewordenen Assoziationsneigungen treffen das
Wesen des Vorgangs. Dies bleibt doch der Hinweis auf die Existenz einer die Redeabsicht
störenden Intention, deren Natur nur diesmal nicht aus ihren Wirkungen erraten werden kann, wie
es in allen besser ausgeprägten Fällen des Versprechens möglich ist.
Das Verschreiben, zu dem ich nun übergehe, stimmt mit dem Versprechen soweit überein, daß
wir keine neuen Gesichtspunkte zu erwarten haben. Vielleicht wird uns eine kleine Nachlese
beschieden sein. Die so verbreiteten kleinen Verschreibungen, Zusammenziehungen,
Vorwegnahmen späterer, besonders der letzten Worte deuten wiederum auf eine allgemeine
Schreibunlust und Ungeduld fertig zu werden; ausgeprägtere Effekte des Verschreibens lassen
Natur und Absicht der störenden Tendenz erkennen. Im allgemeinen weiß man, wenn man in
einem Brief ein Verschreiben findet, daß beim Schreiber nicht alles in Ordnung war; was sich bei
ihm geregt hat, kann man nicht immer feststellen. Das Verschreiben wird häufig von dem, der es
begeht, ebensowenig bemerkt wie das Versprechen. Auffällig ist dann folgende Beobachtung: Es
gibt ja Menschen, welche die Gewohnheit üben, jeden Brief, den sie geschrieben haben, vor der
Absendung nochmals durchzulesen. Andere pflegen dies nicht; wenn sie es aber ausnahmsweise
einmal tun, haben sie dann immer Gelegenheit, ein auffälliges Verschreiben aufzufinden und zu
korrigieren. Wie ist das zu erklären? Das sieht so aus, als wüßten diese Leute doch, daß sie sich
bei der Abfassung des Briefes verschrieben haben. Sollen wir das wirklich glauben?
An die praktische Bedeutung des Verschreibens knüpft sich ein interessantes Problem. Sie
erinnern sich vielleicht an den Fall eines Mörders H., der sich Kulturen von höchst gefährlichen
Krankheitserregern von wissenschaftlichen Instituten zu verschaffen wußte, indem er sich für
einen Bakterienforscher ausgab, der aber diese Kulturen dazu gebrauchte, um ihm nahestehende
Personen auf diese modernste Weise aus dem Wege zu räumen. Dieser Mann beklagte sich nun
einmal bei der Leitung eines solchen Instituts über die Unwirksamkeit der ihm geschickten
Kulturen, verschrieb sich aber dabei, und an Stelle der Worte »bei meinen Versuchen an Mäusen
oder Meerschweinchen« stand deutlich zu lesen, »bei meinen Versuchen an Menschen«. Dies
Verschreiben fiel auch den Ärzten des Instituts auf; sie zogen aber, soviel ich weiß, keine
Konsequenzen daraus. Nun, was meinen Sie? Hätten die Ärzte nicht vielmehr das Verschreiben
als Geständnis annehmen und eine Untersuchung anregen müssen, durch welche dem Mörder
rechtzeitig das Handwerk gelegt worden wäre? Ist in diesem Falle nicht die Unkenntnis unserer
Auffassung der Fehlleistungen die Ursache eines praktisch bedeutsamen Versäumnisses
geworden? Nun, ich meine, ein solches Verschreiben erschiene mir gewiß als sehr verdächtig,
42
back to the
book Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)"
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin