Page - 61 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Sie werden mich aufmerksam machen, daß ich da wiederum eine Annahme einführe, schon die
zweite in diesem kurzen Zusammenhange, und den Anspruch meines Verfahrens auf
Glaubwürdigkeit enorm herabsetze. Unter der Voraussetzung, daß der Traum ein psychisches
Phänomen ist, unter der weiteren Voraussetzung, daß es seelische Dinge im Menschen gibt, die er
weiß, ohne zu wissen, daß er sie weiß, usw. Dann braucht man nur die innere
Unwahrscheinlichkeit jeder dieser beiden Voraussetzungen ins Auge zu fassen, um beruhigt sein
Interesse von den Schlüssen aus ihnen abzuwenden.
Ja, meine Damen und Herren, ich habe Sie nicht hieher kommen lassen, um Ihnen etwas
vorzuspiegeln oder zu verhehlen. Ich habe zwar »Elementare Vorlesungen zur Einführung in die
Psychoanalyse« angekündigt, aber damit habe ich keine Darstellung in usum delphini
beabsichtigt, die Ihnen einen glatten Zusammenhang zeigen soll mit sorgfältigem Verstecken
aller Schwierigkeiten, Ausfüllung der Lücken, Übermalen der Zweifel, damit Sie ruhigen Gemüts
glauben sollen, Sie haben etwas Neues gelernt. Nein, gerade darum, weil Sie Anfänger sind,
wollte ich Ihnen unsere Wissenschaft zeigen, wie sie ist, mit ihren Unebenheiten und Härten,
Anforderungen und Bedenken. Ich weiß nämlich, daß es in keiner Wissenschaft anders ist und
besonders in ihren Anfängen gar nicht anders sein kann. Ich weiß auch, daß der Unterricht sich
sonst bemüht, diese Schwierigkeiten und Unvollkommenheiten dem Lernenden zunächst zu
verbergen. Aber das geht bei der Psychoanalyse nicht. Ich habe also wirklich zwei
Voraussetzungen gemacht, die eine innerhalb der anderen, und wem das Ganze zu mühselig und
zu unsicher ist, oder wer an höhere Sicherheiten und elegantere Ableitungen gewöhnt ist, der
braucht nicht weiter mitzugehen. Ich meine nur, der soll psychologische Probleme überhaupt in
Ruhe lassen, denn es ist zu besorgen, daß er die exakten und sicheren Wege, die er zu begehen
bereit ist, hier nicht gangbar findet. Es ist auch ganz überflüssig, daß eine Wissenschaft, die etwas
zu bieten hat, um Gehör und um Anhänger werbe. Ihre Ergebnisse müssen für sie Stimmung
machen, und sie kann abwarten, bis diese sich Aufmerksamkeit erzwungen haben.
Diejenigen von Ihnen aber, die bei der Sache verbleiben wollen, kann ich daran mahnen, daß
meine beiden Annahmen nicht gleichwertig sind. Die erste, der Traum sei ein seelisches
Phänomen, ist die Voraussetzung, die wir durch den Erfolg unserer Arbeit erweisen wollen; die
andere ist bereits auf einem anderen Gebiete erwiesen, und ich nehme mir bloß die Freiheit, sie
von dorther auf unsere Probleme zu übertragen.
Wo, auf welchem Gebiet sollte der Beweis erbracht worden sein, daß es ein Wissen gibt, von
dem der Mensch doch nichts weiß, wie wir es hier für den Träumer annehmen wollen? Das wäre
doch eine merkwürdige, überraschende, unsere Auffassung des Seelenlebens verändernde
Tatsache, die sich nicht zu verbergen brauchte. Nebenbei eine Tatsache, die sich in ihrer
Benennung selbst aufhebt und doch etwas Wirkliches sein will, eine contradictio in adjecto. Nun,
sie verbirgt sich auch gar nicht. Es liegt nicht an ihr, wenn man nichts von ihr weiß oder sich
nicht genügend um sie kümmert. So wenig, wie es unsere Schuld ist, daß alle diese
psychologischen Probleme von Personen abgeurteilt werden, die sich von all den hiefür
entscheidenden Beobachtungen und Erfahrungen ferngehalten haben.
Der Beweis ist auf dem Gebiet der hypnotischen Erscheinungen erbracht worden. Als ich im
Jahre 1889 die ungemein eindrucksvollen Demonstrationen von Liébeault und Bernheim in
Nancy mitansah, war ich auch Zeuge des folgenden Versuches. Wenn man einen Mann in den
somnambulen Zustand versetzt hatte, ihn in diesem alles mögliche halluzinatorisch erleben ließ
und ihn dann aufweckte, so schien er zunächst von den Vorgängen während seines hypnotischen
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin