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der Beziehung zum Objekt kommt es besonders häufig vor, daß sich die reale Befriedigung doch
mit einem undeutlichen oder entstellten Trauminhalt verbindet. Diese Eigentümlichkeit der
Pollutionsträume macht sie, wie O. Rank bemerkt hat, zu günstigen Objekten für das Studium der
Traumentstellung. Alle Bedürfnisträume Erwachsener pflegen übrigens außer der Befriedigung
noch anderes zu enthalten, was rein psychischen Reizquellen entstammt und zu seinem
Verständnis der Deutung bedarf.
Wir wollen übrigens nicht behaupten, daß die nach infantiler Art gebildeten
Wunscherfüllungsträume der Erwachsenen nur als Reaktionen auf die genannten imperativen
Bedürfnisse vorkommen. Wir kennen ebensowohl kurze und klare Träume dieser Art unter dem
Einfluß gewisser dominierender Situationen, die aus unzweifelhaft psychischen Reizquellen
herrühren. So z. B. die Ungeduldsträume, wenn jemand die Vorbereitungen zu einer Reise, zu
einer für ihn bedeutsamen Schaustellung, zu einem Vortrag, Besuch getroffen hat und nun die
verfrühte Erfüllung seiner Erwartung träumt, sich also in der Nacht vor dem Erlebnis an seinem
Ziel angekommen, im Theater, im Gespräch mit dem Besuchten sieht. Oder, die mit Recht so
genannten Bequemlichkeitsträume, wenn jemand, der gerne den Schlaf verlängert, träumt, daß er
bereits aufgestanden ist, sich wäscht oder sich in der Schule befindet, während er in Wirklichkeit
weiterschläft, also lieber im Traum aufsteht als in Wirklichkeit. Der Wunsch zu schlafen, den wir
als regelmäßig an der Traumbildung beteiligt erkannt haben, wird in diesen Träumen laut und
zeigt sich in ihnen als der wesentliche Traumbildner. Das Bedürfnis zu schlafen stellt sich mit
gutem Recht den anderen großen körperlichen Bedürfnissen zur Seite.
Ich zeige Ihnen hier an der Reproduktion eines Schwindschen Bildes aus der Schackgalerie in
München, wie richtig der Maler die Entstehung eines Traumes aus einer dominierenden Situation
erfaßt hat. Es ist der »Traum eines Gefangenen«, der nichts anderes als seine Befreiung zum
Inhalt haben kann. Es ist sehr hübsch, daß die Befreiung durch das Fenster erfolgen soll, denn
durch das Fenster ist der Lichtreiz eingedrungen, der dem Schlaf des Gefangenen ein Ende
macht. Die übereinanderstehenden Gnomen repräsentieren wohl die eigenen sukzessiven
Stellungen, die er beim Emporklettern zur Höhe des Fensters einzunehmen hätte, und irre ich
nicht, lege ich dem Künstler dabei nicht zuviel Absichtlichkeit unter, so trägt der oberste der
Gnomen, welcher das Gitter durchsägt, also das tut, was der Gefangene selbst möchte, die
nämlichen Züge wie er selbst.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin