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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Page - 83 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)

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doch einer wie der andere, und erwidert: ›Mein Gott, ich bin eine alte Frau und werde vielleicht gar nicht in die Lage kommen. Übrigens eine Bedingung müßte eingehalten werden: die Berücksichtigung des Alters; daß nicht eine ältere Frau einem ganz jungen Burschen… (Gemurmel); das wäre entsetzliche – Der Stabsarzt: ›Ich verstehe vollkommen.‹ Einige Offiziere, darunter einer, der sich in jungen Jahren um sie beworben hatte, lachen hell auf, und die Dame wünscht zu dem ihr bekannten Oberarzt geführt zu werden, damit alles ins reine gebracht werde. Dabei fällt ihr zur größten Bestürzung ein, daß sie seinen Namen nicht kennt. Der Stabsarzt weist sie trotzdem sehr höflich und respektvoll an, über eine sehr schmale eiserne Wendeltreppe, die direkt von dem Zimmer aus in die oberen Stockwerke führt, in den zweiten Stock zu gehen. Im Hinaufsteigen hört sie einen Offizier sagen: ›Das ist ein kolossaler Entschluß, gleichgültig, ob eine jung oder alt ist; alle Achtung!‹ Mit dem Gefühle, einfach ihre Pflicht zu tun, geht sie eine endlose Treppe hinauf. Dieser Traum wiederholt sich innerhalb weniger Wochen noch zweimal mit – wie die Dame bemerkt – ganz unbedeutenden und recht sinnlosen Abänderungen.« Der Traum entspricht in seinem Fortlauf einer Tagesphantasie: er hat nur wenige Bruchstellen, und manche Einzelheit in seinem Inhalt hätte durch Erkundigung geklärt werden können, was, wie Sie wissen, unterblieben ist. Das Auffällige und für uns Interessante ist aber, daß der Traum mehrere Lücken zeigt, Lücken, nicht der Erinnerung, sondern des Inhaltes. An drei Stellen ist der Inhalt wie ausgelöscht; die Reden, in denen diese Lücken angebracht sind, werden durch ein Gemurmel unterbrochen. Da wir keine Analyse angestellt haben, steht uns strenge genommen auch kein Recht zu, etwas über den Sinn des Traumes zu äußern. Allein es sind Andeutungen gegeben, aus denen sich etwas folgern läßt, z.  B. im Worte »Liebesdienste«, und vor allem nötigen die Stücke der Reden, welche dem Gemurmel unmittelbar vorhergehen, zu Ergänzungen, welche nicht anders als eindeutig ausfallen können. Setzen wir diese ein, so ergibt sich eine Phantasie des Inhalts, daß die Träumerin bereit ist, in Erfüllung einer patriotischen Pflicht, ihre Person zur Befriedigung der Liebesbedürfnisse des Militärs, Offiziere wie Mannschaft, zur Verfügung zu stellen. Das ist gewiß höchst anstößig, ein Muster einer frech libidinösen Phantasie, aber – es kommt im Traume gar nicht vor. Gerade dort, wo der Zusammenhang dieses Bekenntnis fordern würde, findet sich im manifesten Traume ein undeutliches Gemurmel, ist etwas verlorengegangen oder unterdrückt worden. Ich hoffe, Sie erkennen es als naheliegend, daß eben die Anstößigkeit dieser Stellen das Motiv zu ihrer Unterdrückung war. Wo finden Sie aber eine Parallele zu diesem Vorkommnis? Sie brauchen in unseren Tagen nicht weit zu suchen. Nehmen Sie irgendeine politische Zeitung zur Hand, Sie werden finden, daß von Stelle zu Stelle der Text weggeblieben ist und an seiner Statt die Weiße des Papiers schimmert. Sie wissen, das ist das Werk der Zeitungszensur. An diesen leer gewordenen Stellen stand etwas, was der hohen Zensurbehörde mißliebig war, und darum wurde es entfernt. Sie meinen, es ist schade darum, es wird wohl das Interessanteste gewesen sein, es war »die beste Stelle«. Andere Male hat die Zensur nicht auf den fertigen Satz gewirkt. Der Autor hat vorhergesehen, welche Stellen die Beanständung durch die Zensur zu erwarten haben, und hat sie darum vorbeugend gemildert, leicht modifiziert oder sich mit Annäherungen und Anspielungen an das, was ihm eigentlich aus der Feder fließen wollte, begnügt. Dann hat auch das Blatt keine leeren Stellen, aber aus gewissen Umschweifen und Dunkelheiten des Ausdrucks werden Sie die im 83
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Title
Schriften von Sigmund Freud
Subtitle
(1856–1939)
Author
Sigmund Freud
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
21.6 x 28.0 cm
Pages
2789
Keywords
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Categories
Geisteswissenschaften
Medizin
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