Page - 92 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Die Psychoanalyse findet keinen Anlaß zu Verhüllungen und Andeutungen, hält es nicht für
nötig, sich der Beschäftigung mit diesem wichtigen Stoff zu schämen, meint, es sei korrekt und
anständig, alles bei seinem richtigen Namen zu nennen, und hofft, auf solche Weise störende
Nebengedanken am ehesten fernezuhalten. Daran kann der Umstand, daß man vor einem aus
beiden Geschlechtern gemischten Zuhörerkreis spricht, nichts ändern. So wie es keine
Wissenschaft in usum delphini gibt, so auch keine für Backfischchen, und die Damen unter Ihnen
haben durch ihr Erscheinen in diesem Hörsaal zu verstehen gegeben, daß sie den Männern
gleichgestellt werden wollen.
Für das männliche Genitale also hat der Traum eine Anzahl von symbolisch zu nennenden
Darstellungen, bei denen das gemeinsame der Vergleichung meist sehr einleuchtend ist. Vor
allem ist für das männliche Genitale im ganzen die heilige Zahl 3 symbolisch bedeutsam. Der
auffälligere und beiden Geschlechtern interessante Bestandteil des Genitales, das männliche
Glied, findet symbolischen Ersatz erstens durch Dinge, die ihm in der Form ähnlich, also lang
und hochragend sind, wie: Stöcke, Schirme, Stangen, Bäume und dgl. Ferner durch Gegenstände,
die die Eigenschaft des In-den-Körper-Eindringens und Verletzens mit dem Bezeichneten gemein
haben, also spitzige Waffen jeder Art, Messer, Dolche, Lanzen, Säbel, aber ebenso durch
Schießwaffen: Gewehre, Pistolen und den durch seine Form so sehr dazu tauglichen Revolver. In
den ängstlichen Träumen der Mädchen spielt die Verfolgung durch einen Mann mit einem
Messer oder einer Schußwaffe eine große Rolle. Es ist dies der vielleicht häufigste Fall der
Traumsymbolik, den Sie sich nun leicht übersetzen können. Ohne weiteres verständlich ist auch
der Ersatz des männlichen Gliedes durch Gegenstände, aus denen Wasser fließt: Wasserhähne,
Gießkannen, Springbrunnen, und durch andere Objekte, die einer Verlängerung fähig sind, wie
Hängelampen, vorschiebbare Bleistifte usw. Daß Bleistifte, Federstiele, Nagelfeilen, Hämmer
und andere Instrumente unzweifelhafte männliche Sexualsymbole sind, hängt mit einer
gleichfalls nicht ferneliegenden Auffassung des Organs zusammen.
Die merkwürdige Eigenschaft des Gliedes, sich gegen die Schwerkraft aufrichten zu können, eine
Teilerscheinung der Erektion, führt zur Symboldarstellung durch Luftballone, Flugmaschinen
und neuesten Datums durch das Zeppelinsche Luftschiff. Der Traum kennt aber noch eine andere,
weit ausdrucksvollere Art, die Erektion zu symbolisieren. Er macht das Geschlechtsglied zum
Wesentlichen der ganzen Person und läßt diese selbst fliegen. Lassen Sie sich’s nicht nahegehen,
daß die oft so schönen Flugträume, die wir alle kennen, als Träume von allgemeiner sexueller
Erregung, als Erektionsträume gedeutet werden müssen. Unter den psychoanalytischen Forschern
hat P. Federn diese Deutung gegen jeden Zweifel sichergestellt, aber auch der für seine
Nüchternheit vielbelobte Mourly Vold, der jene Traumexperimente mit künstlichen Stellungen
der Arme und Beine durchgeführt hat und der der Psychoanalyse wirklich fernestand, vielleicht
nichts von ihr wußte, ist durch seine Untersuchungen zu demselben Schluß gekommen. Machen
Sie auch keinen Einwand daraus, daß Frauen dieselben Flugträume haben können. Erinnern Sie
sich vielmehr daran, daß unsere Träume Wunscherfüllungen sein wollen und daß der Wunsch,
ein Mann zu sein, sich bei der Frau so häufig, bewußt oder unbewußt, findet. Auch daß es der
Frau möglich ist, diesen Wunsch durch dieselben Sensationen wie der Mann zu realisieren, wird
keinen der Anatomie Kundigen irremachen können. Das Weib besitzt in seinen Genitalien eben
auch ein kleines Glied in der Ähnlichkeit des männlichen, und dieses kleine Glied, die Clitoris,
spielt sogar im Kindesalter und im Alter vor dem Geschlechtsverkehr die nämliche Rolle wie das
große Glied des Mannes.
Zu den weniger gut verständlichen männlichen Sexualsymbolen gehören gewisse Reptilien und
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin