Page - 95 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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wir einen gut Bekannten vertraulich als »altes Haus« begrüßen, wenn wir davon sprechen, einem
eins aufs Dachl zu geben, oder von einem anderen behaupten, es sei bei ihm nicht richtig im
Oberstübchen. In der Anatomie heißen die Körperöffnungen direkt die Leibespforten.
Daß wir die Eltern im Traume als kaiserliche und königliche Paare antreffen, ist ja zunächst
überraschend. Aber es findet seine Parallele in den Märchen. Dämmert uns nicht die Einsicht, daß
die vielen Märchen, die anheben: Es war einmal ein König und eine Königin, nichts anderes
sagen wollen als: Es waren einmal ein Vater und eine Mutter? In der Familie heißen wir die
Kinder scherzhaft Prinzen, den ältesten aber den Kronprinzen. Der König selbst nennt sich
Landesvater. Kleine Kinder bezeichnen wir scherzhaft als Würmer und sagen mitleidig: das arme
Wurm.
Kehren wir zur Haussymbolik zurück. Wenn wir die Vorsprünge der Häuser im Traume zum
Anhalten benützen, mahnt das nicht an die bekannte Volksrede auf einen stark entwickelten
Busen: Die hat etwas zum Anhalten? Das Volk äußert sich in solchem Falle noch anders, es sagt:
Die hat viel Holz vor dem Haus, als wollte es unserer Deutung zu Hilfe kommen, daß Holz ein
weibliches, mütterliches Symbol ist.
Zu Holz noch anderes. Wir werden nicht verstehen, wie dieser Stoff zur Vertretung des
Mütterlichen, Weiblichen, gelangt ist. Da mag uns die Sprachvergleichung an die Hand gehen.
Unser deutsches Wort Holz soll gleichen Stammes sein wie das griechische ύλη, was Stoff,
Rohstoff bedeutet. Es würde da der nicht gerade seltene Fall vorliegen, daß ein allgemeiner
Stoffname schließlich für einen besonderen Stoff reserviert worden ist. Nun gibt es eine Insel im
Ozean, die den Namen Madeira führt. Diesen Namen haben ihr die Portugiesen bei der
Entdeckung gegeben, weil sie damals über und über bewaldet war. Madeira heißt nämlich in der
Sprache der Portugiesen: Holz. Sie erkennen aber, daß madeira nichts anderes ist als das wenig
veränderte lateinische Wort materia, das wiederum Stoff im allgemeinen bedeutet. Materia ist
nun von mater, Mutter, abgeleitet. Der Stoff, aus dem etwas besteht, ist gleichsam sein
mütterlicher Anteil. In dem symbolischen Gebrauch von Holz für Weib, Mutter, lebt also diese
alte Auffassung fort.
Die Geburt wird im Traume regelmäßig durch eine Beziehung zum Wasser ausgedrückt; man
stürzt ins Wasser oder kommt aus dem Wasser, das heißt: man gebärt oder man wird geboren.
Nun vergessen wir nicht, daß sich dies Symbol in zweifacher Weise auf
entwicklungsgeschichtliche Wahrheit berufen kann. Nicht nur, daß alle Landsäugetiere, auch die
Vorahnen des Menschen, aus Wassertieren hervorgegangen sind, – das wäre die fernerliegende
Tatsache, – auch jedes einzelne Säugetier, jeder Mensch, hat die erste Phase seiner Existenz im
Wasser zugebracht, nämlich als Embryo im Fruchtwasser im Leib seiner Mutter gelebt und ist
mit der Geburt aus dem Wasser gekommen. Ich will nicht behaupten, daß der Träumer dies weiß,
dagegen vertrete ich, daß er es nicht zu wissen braucht. Etwas anderes weiß der Träumer
wahrscheinlich daher, daß man es ihm in seiner Kindheit gesagt hat, und selbst dafür will ich
behaupten, daß ihm dies Wissen nichts zur Symbolbildung beigetragen hat. Man hat ihm in der
Kinderstube erzählt, daß der Storch die Kinder bringt, aber woher holt er sie? Aus dem Teich, aus
dem Brunnen, also wiederum aus dem Wasser. Einer meiner Patienten, dem diese Auskunft
gegeben worden war, damals ein kleines Gräflein, war hernach einen ganzen Nachmittag lang
verschollen. Man fand ihn endlich am Rande des Schloßteichs liegend, das Gesichtchen über den
Wasserspiegel gebeugt und eifrig spähend, ob er die Kindlein auf dem Grunde des Wassers
erschauen könnte.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin