Page - 115 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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genannt wird, heißt auch in der Anatomie so, nämlich Mons Veneris, Schamberg.
7) Wiederum ein mittels Symboleinsetzung zu lösender Traum, dadurch bemerkenswert und
beweiskräftig, daß der Träumer selbst alle Symbole übersetzt hat, obwohl er keinerlei
theoretische Vorkenntnisse für die Traumdeutung mitbrachte. Dies Verhalten ist recht
ungewöhnlich, und die Bedingungen dafür sind nicht genau bekannt.
»Er geht mit seinem Vater an einem Ort spazieren, der gewiß der Prater ist, denn man sieht die
Rotunde, vor dieser einen kleineren Vorbau, an dem ein Fesselballon angebracht ist, der aber
ziemlich schlaff scheint. Sein Vater fragt ihn, wozu das alles ist; er wundert sich darüber, erklärt
es ihm aber. Dann kommen sie in einen Hof, in dem eine große Platte von Blech ausgebreitet
liegt. Sein Vater will sich ein großes Stück davon abreißen, sieht sich aber vorher um, ob es nicht
jemand bemerken kann. Er sagt ihm, er braucht es doch nur dem Aufseher zu sagen, dann kann
er sich ohne weiteres davon nehmen. Aus diesem Hof führt eine Treppe in einen Schacht
herunter, dessen Wände weich ausgepolstert sind, etwa wie ein Lederfauteuil. Am Ende dieses
Schachtes ist eine längere Plattform und dann beginnt ein neuer Schacht …«
Der Träumer deutet selbst: Die Rotunde ist mein Genitale, der Fesselballon davor mein Penis,
über dessen Schlaffheit ich zu klagen habe. Man darf also eingehender übersetzen, die Rotunde
sei das – vom Kind regelmäßig zum Genitale gerechnete – Gesäß, der kleinere Vorbau der
Hodensack. Im Traum fragt ihn der Vater, was das alles ist, d. h. nach Zweck und Verrichtung
der Genitalien. Es liegt nahe, diesen Sachverhalt umzukehren, so daß er der fragende Teil wird.
Da eine solche Befragung des Vaters in Wirklichkeit nie stattgefunden hat, muß man den
Traumgedanken als Wunsch auffassen oder ihn etwa konditionell nehmen: »Wenn ich den Vater
um sexuelle Aufklärung gebeten hätte.« Die Fortsetzung dieses Gedankens werden wir bald an
anderer Stelle finden.
Der Hof, in dem das Blech ausgebreitet liegt, ist nicht in erster Linie symbolisch zu fassen,
sondern stammt aus dem Geschäftslokal des Vaters. Aus Gründen der Diskretion habe ich das
»Blech« für das andere Material, mit dem der Vater handelt, eingesetzt, ohne sonst etwas am
Wortlaut des Traumes zu ändern. Der Träumer ist in das Geschäft des Vaters eingetreten und hat
an den eher unkorrekten Praktiken, auf denen der Gewinn zum guten Teil beruht, gewaltigen
Anstoß genommen. Daher dürfte die Fortsetzung des obigen Traumgedankens lauten: (»Wenn
ich ihn gefragt hätte), würde er mich betrogen haben, wie er seine Kunden betrügt.« Für das
Abreißen, welches der Darstellung der geschäftlichen Unredlichkeit dient, gibt der Träumer
selbst die zweite Erklärung, es bedeute die Onanie. Dies ist uns nicht nur längst bekannt, sondern
stimmt auch sehr gut dazu, daß das Geheimnis der Onanie durch das Gegenteil ausgedrückt ist
(man darf es ja offen tun). Es entspricht dann allen Erwartungen, daß die onanistische Tätigkeit
wieder dem Vater zugeschoben wird, wie die Befragung in der ersten Traumszene. Den Schacht
deutet er sofort unter Berufung auf die weiche Polsterung der Wände als Vagina. Daß das
Herabsteigen wie sonst das Aufsteigen den Koitusverkehr in der Vagina beschreiben will, setze
ich eigenmächtig ein.
Die Einzelheiten, daß auf den ersten Schacht eine längere Plattform folgt und dann ein neuer
Schacht, erklärt er selbst biographisch. Er hat eine Zeitlang koitiert, dann den Verkehr infolge
von Hemmungen aufgegeben und hofft ihn jetzt mit Hilfe der Kur wieder aufnehmen zu können.
8) Die beiden nachstehenden Träume eines Fremden mit sehr polygamer Veranlagung teile ich
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin