Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Page - 120 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 120 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)

Image of the Page - 120 -

Image of the Page - 120 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)

Text of the Page - 120 -

Der Vater, dessen Traum zur Deutung berechtigt, er wünsche den Tod seines bevorzugten ältesten Kindes, muß sich ebenso daran erinnern lassen, daß ihm dieser Wunsch einmal nicht fremd war. Als dieses Kind noch Säugling war, dachte der mit seiner Ehewahl unzufriedene Mann oft, wenn das kleine Wesen, das ihm nichts bedeute, sterben sollte, dann wäre er wieder frei und würde von seiner Freiheit einen besseren Gebrauch machen. Die gleiche Herkunft läßt sich für eine große Anzahl ähnlicher Haßregungen erweisen; sie sind Erinnerungen an etwas, was der Vergangenheit angehörte, einmal bewußt war und seine Rolle im Seelenleben spielte. Sie werden daraus den Schluß ziehen wollen, daß es solche Wünsche und solche Träume nicht geben darf, wenn derartige Wandlungen im Verhältnis zu einer Person nicht vorgekommen sind, wenn dies Verhältnis von Anfang an gleichsinnig war. Ich bin bereit, Ihnen diese Folgerung zuzugeben, will Sie nur daran mahnen, daß Sie nicht den Wortlaut des Traumes, sondern den Sinn desselben nach seiner Deutung in Betracht ziehen. Es kann vorkommen, daß der manifeste Traum vom Tode einer geliebten Person nur eine schreckhafte Maske vorgenommen hat, aber etwas ganz anderes bedeutet oder daß die geliebte Person zum täuschenden Ersatz für eine andere bestimmt ist. Derselbe Sachverhalt wird aber eine andere, weit ernsthaftere Frage bei Ihnen wecken. Sie werden sagen: Wenn dieser Todeswunsch auch einmal vorhanden war und von der Erinnerung bestätigt wird, so ist das doch keine Erklärung: Er ist doch längst überwunden, er kann heute doch nur als bloße affektlose Erinnerung im Unbewußten vorhanden sein, aber nicht als kräftige Regung. Für letzteres spricht doch nichts. Wozu wird er also überhaupt vom Traume erinnert? Diese Frage ist wirklich berechtigt; der Versuch, sie zu beantworten, würde uns zu weit führen und zur Stellungnahme in einem der bedeutsamsten Punkte der Traumlehre nötigen. Aber ich bin genötigt, im Rahmen unserer Erörterungen zu bleiben und Enthaltung zu üben. Bereiten Sie sich auf den einstweiligen Verzicht vor. Begnügen wir uns mit dem tatsächlichen Nachweis, daß dieser überwundene Wunsch als Traumerreger nachweisbar ist und setzen wir die Untersuchung fort, ob auch andere böse Wünsche dieselbe Ableitung aus der Vergangenheit zulassen. Bleiben wir bei den Beseitigungswünschen, die wir ja zumeist auf den uneingeschränkten Egoismus des Träumers zurückführen dürfen. Ein solcher Wunsch ist als Traumbildner sehr häufig nachzuweisen. So oft uns irgend jemand im Leben in den Weg getreten ist, und wie häufig muß dies bei der Komplikation der Lebensbeziehungen der Fall sein, sofort ist der Traum bereit, ihn totzumachen, sei er auch der Vater, die Mutter, ein Geschwister, ein Ehepartner u.  dgl. Wir hatten uns über diese Schlechtigkeit der menschlichen Natur genug verwundert und waren gewiß nicht geneigt, die Richtigkeit dieses Ergebnisses der Traumdeutung ohne weiteres anzunehmen. Wenn wir aber einmal darauf gewiesen werden, den Ursprung solcher Wünsche in der Vergangenheit zu suchen, so entdecken wir alsbald die Periode der individuellen Vergangenheit, in welcher solcher Egoismus und solche Wunschregungen auch gegen die Nächsten nichts Befremdendes mehr haben. Es ist das Kind gerade in jenen ersten Jahren, welche später von der Amnesie verhüllt werden, das diesen Egoismus häufig in extremer Ausprägung zeigt, regelmäßig aber deutliche Ansätze dazu oder richtiger Überreste davon erkennen läßt. Das Kind liebt eben sich selbst zuerst und lernt erst später andere lieben, von seinem Ich etwas an andere opfern. Auch die Personen, die es von Anfang an zu lieben scheint, liebt es zuerst darum, weil es sie braucht, sie nicht entbehren kann, also wiederum aus egoistischen Motiven. Erst später macht sich die Liebesregung vom Egoismus unabhängig. Es hat tatsächlich am Egoismus lieben gelernt. Es wird in dieser Beziehung lehrreich sein, die Einstellung des Kindes gegen seine Geschwister mit der gegen seine Eltern zu vergleichen. Seine Geschwister liebt das kleine Kind nicht 120
back to the  book Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)"
Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Title
Schriften von Sigmund Freud
Subtitle
(1856–1939)
Author
Sigmund Freud
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
21.6 x 28.0 cm
Pages
2789
Keywords
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Categories
Geisteswissenschaften
Medizin
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Schriften von Sigmund Freud