Page - 130 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Ihr Mann sagt ihr, die Elise und ihr Bräutigam hätten auch ins Theater gehen wollen, konnten
aber nicht, da sie nur schlechte Karten bekamen, drei um einen Gulden fünfzig. Sie meint, es
wäre auch kein Unglück gewesen. Wir hatten erraten, daß sich die Traumgedanken auf den
Ärger, so früh geheiratet zu haben, und auf die Unzufriedenheit mit ihrem Mann beziehen. Wir
dürfen neugierig sein, wie diese trüben Gedanken zu einer Wunscherfüllung umgearbeitet
worden sind und wo sich deren Spur im manifesten Inhalt findet. Nun wissen wir schon, daß das
Element »zu früh, voreilig« durch die Zensur aus dem Traum eliminiert wurde. Das leere Parkett
ist eine Anspielung darauf. Das rätselhafte »3 um einen Gulden fünfzig« wird uns jetzt mit Hilfe
der Symbolik, die wir seither gelernt haben, besser verständlich[11]. Die 3 bedeutet wirklich einen
Mann, und das manifeste Element ist leicht zu übersetzen: sich einen Mann für die Mitgift
kaufen. (»Einen zehnmal besseren hätte ich mir für meine Mitgift kaufen können.«) Das Heiraten
ist offenbar ersetzt durch das Ins-Theater-Gehen. Das »zu früh Theaterkarten besorgen« steht ja
direkt an Stelle des zu früh Heiratens. Diese Ersetzung ist aber das Werk der Wunscherfüllung.
Unsere Träumerin war nicht immer so unzufrieden mit ihrer frühen Heirat wie am Tage, da sie
die Nachricht von der Verlobung ihrer Freundin erhielt. Sie war seinerzeit stolz darauf und fand
sich vor der Freundin bevorzugt. Naive Mädchen sollen häufig nach ihrer Verlobung ihre Freude
darüber verraten haben, daß sie nun bald zu allen bisher verbotenen Stücken ins Theater gehen,
alles mitansehen dürfen. Das Stück Schaulust oder Neugierde, das hier zum Vorschein kommt,
war gewiß anfänglich sexuelle Schaulust, dem Geschlechtsleben, besonders der Eltern,
zugewendet, und wurde dann zu einem starken Motiv, das die Mädchen zum frühen Heiraten
drängte. Auf solche Art wird der Theaterbesuch zu einem naheliegenden Andeutungsersatz für
das Verheiratetsein. In dem gegenwärtigen Ärger über ihre frühe Heirat greift sie also auf jene
Zeit zurück, in welcher ihr die frühe Heirat Wunscherfüllung war, weil sie ihre Schaulust
befriedigte, und ersetzt, von dieser alten Wunschregung geleitet, das Heiraten durch das
Ins-Theater-Gehen.
Wir können sagen, daß wir uns für den Nachweis einer versteckten Wunscherfüllung nicht gerade
das bequemste Beispiel herausgesucht haben. In analoger Weise müßten wir bei anderen
entstellten Träumen verfahren. Ich kann das vor Ihnen nicht tun und will bloß die Überzeugung
aussprechen, daß es überall gelingen wird. Aber ich will bei diesem Punkte der Theorie noch
länger verweilen. Die Erfahrung hat mich belehrt, daß er einer der gefährdetsten der ganzen
Traumlehre ist und daß viele Widersprüche und Mißverständnisse an ihn anknüpfen. Außerdem
werden Sie vielleicht noch unter dem Eindruck stehen, daß ich bereits ein Stück meiner
Behauptung zurückgenommen, indem ich äußerte, der Traum sei ein erfüllter Wunsch oder das
Gegenteil davon, eine verwirklichte Angst oder Bestrafung, und werden meinen, es sei die
Gelegenheit, mir weitere Einschränkungen abzunötigen. Ich habe auch den Vorwurf gehört, daß
ich Dinge, die mir selbst evident scheinen, zu knapp und darum nicht überzeugend genug
darstelle.
Wenn jemand in der Traumdeutung so weit mit uns gegangen ist und alles angenommen hat, was
sie bisher gebracht, so macht er nicht selten bei der Wunscherfüllung halt und fragt: Zugegeben,
daß der Traum jedesmal einen Sinn hat und daß dieser Sinn durch die psychoanalytische Technik
aufgedeckt werden kann, warum muß dieser Sinn aller Evidenz zum Trotze immer wieder in die
Formel der Wunscherfüllung gepreßt werden? Warum soll der Sinn dieses nächtlichen Denkens
nicht so mannigfaltig sein können wie der des Denkens bei Tage, also der Traum das eine Mal
einem erfüllten Wunsch entsprechen, das andere Mal, wie Sie selbst sagen, dem Gegenteil davon,
einer verwirklichten Befürchtung, dann aber auch einen Vorsatz ausdrücken können, eine
Warnung, eine Überlegung mit ihrem Für und Wider, oder einen Vorwurf, eine
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin