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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Page - 139 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)

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betreffende manifeste Element auch ewig unverständlich. Gestatten Sie, daß ich Ihnen noch ein solches kürzlich erlebtes Beispiel nachtrage. Eine meiner Patientinnen hat während der Behandlung ihren Vater verloren. Sie bedient sich seitdem jedes Anlasses, um ihn im Traume wieder zu beleben. In einem ihrer Träume kommt der Vater in einem gewissen, weiter nicht verwertbaren Zusammenhange vor und sagt: Es ist ein Viertel zwölf, es ist halb zwölf, es ist drei Viertel zwölf. Zur Deutung dieser Sonderbarkeit stellte sich nur der Einfall ein, daß der Vater es gerne gesehen hatte, wenn die erwachsenen Kinder die gemeinschaftliche Speisestunde pünktlich einhielten. Das hing gewiß mit dem Traumelement zusammen, gestattete aber keinen Schluß auf dessen Herkunft. Es bestand ein durch die damalige Situation der Kur gerechtfertigter Verdacht, daß eine sorgfältig unterdrückte, kritische Auflehnung gegen den geliebten und verehrten Vater ihren Anteil an diesem Traum hätte. In weiterer Verfolgung ihrer Einfälle, anscheinend weit vom Traum entfernt, erzählt die Träumerin, gestern sei in ihrer Gegenwart viel Psychologisches besprochen worden, und ein Verwandter habe die Äußerung getan: Der Urmensch lebt in uns allen fort. Jetzt glauben wir zu verstehen. Das gab eine ausgezeichnete Gelegenheit für sie, den verstorbenen Vater wieder einmal fortleben zu lassen. Sie machte ihn also im Traum zum Uhrmenschen, indem sie ihn die Viertelstunden der Mittagszeit ansagen ließ. Sie werden an diesem Beispiel die Ähnlichkeit mit einem Witz nicht von sich weisen können, und es ist wirklich oft genug vorgekommen, daß man den Witz des Träumers für den des Deuters gehalten hat. Es gibt noch andere Beispiele, in denen es gar nicht leicht wird zu entscheiden, ob man es mit einem Witz oder einem Traum zu tun hat. Sie erinnern sich aber, daß uns der nämliche Zweifel bei manchen Fehlleistungen des Versprechens gekommen ist. Ein Mann erzählt als seinen Traum, sein Onkel habe ihm, während sie in dessen Auto (mobil) saßen, einen Kuß gegeben. Er fügt selbst sehr rasch die Deutung hinzu. Es bedeutet: Autoerotismus (ein Terminus aus der Libidolehre, der die Befriedigung ohne fremdes Objekt bezeichnet). Hat sich nun der Mann einen Scherz mit uns erlaubt und einen Witz, der ihm eingefallen ist, für einen Traum ausgegeben? Ich glaube es nicht; er hat wirklich so geträumt. Woher kommt aber diese verblüffende Ähnlichkeit? Diese Frage hat mich seinerzeit ein Stück von meinem Wege abgeführt, indem sie mir die Notwendigkeit auferlegte, den Witz selbst einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Es hat sich dabei für die Entstehung des Witzes ergeben, daß ein vorbewußter Gedankengang für einen Moment der unbewußten Bearbeitung überlassen wird, aus welcher er dann als Witz auftaucht. Unter dem Einfluß des Unbewußten erfährt er die Einwirkung der dort waltenden Mechanismen, der Verdichtung und der Verschiebung, also derselben Vorgänge, die wir bei der Traumarbeit beteiligt fanden, und dieser Gemeinsamkeit ist die Ähnlichkeit von Witz und Traum, wo sie zustande kommt, zuzuschreiben. Vom Lustgewinn des Witzes bringt der unbeabsichtigte »Traumwitz« aber nichts mit. Warum, mag Sie die Vertiefung in das Studium des Witzes lehren. Der »Traumwitz« erscheint uns als schlechter Witz, er macht uns nicht lachen, läßt uns kalt. Wir treten dabei auch in die Fußstapfen der antiken Traumdeutung, die uns neben vielem Unbrauchbaren manches gute Beispiel einer Traumdeutung hinterlassen hat, welches wir selbst nicht zu übertreffen wüßten. Ich erzähle Ihnen nun einen historisch bedeutsamen Traum, den mit gewissen Abweichungen Plutarch und Artemidorus aus Daldis von Alexander dem Großen berichten. Als der König mit der Belagerung der hartnäckig verteidigten Stadt Tyrus beschäftigt war (322 v.  Chr.), träumte er einmal, er sehe einen tanzenden Satyr. Der Traumdeuter Aristandros, der sich beim Heere befand, deutete ihm diesen Traum, indem er das Wort »Satyros« in σὰ Τύρος (dein ist Tyrus) zerlegte und ihm darum den Triumph über die Stadt versprach. Alexander ließ sich durch diese Deutung bestimmen, die Belagerung fortzusetzen, und 139
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Title
Schriften von Sigmund Freud
Subtitle
(1856–1939)
Author
Sigmund Freud
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
21.6 x 28.0 cm
Pages
2789
Keywords
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Categories
Geisteswissenschaften
Medizin
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