Page - 545 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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In demselben Jahre, als die Kleine ihre Schmetterlingssammlung anlegte, litt die Gegend arg
unter der Maikäferplage. Die Kinder wüteten gegen die Käfer, zerquetschten sie grausam. Sie hat
damals einen Menschen gesehen, der den Maikäfern die Flügel ausriß und die Leiber dann
verspeiste. Sie selbst ist im Mai geboren, hat auch im Mai geheiratet. Drei Tage nach der
Hochzeit schrieb sie den Eltern einen Brief nach Hause, wie glücklich sie sei. Sie war es aber
keineswegs.
Am Abend vor dem Traum hatte sie in alten Briefen gekramt und verschiedene ernste und
komische Briefe den Ihrigen vorgelesen, so einen höchst lächerlichen Brief eines Klavierlehrers,
der ihr als Mädchen den Hof gemacht hatte, auch den eines aristokratischen Verehrers[114].
Sie macht sich Vorwürfe, daß eine ihrer Töchter ein schlechtes Buch von Maupassant in die
Hand bekommen[115]. Das Arsenik, das ihre Kleine verlangt, erinnert sie an die Arsenikpillen, die
dem Duc de Mora im Nabab die Jugendkraft wiedergeben. Zu »Freiheit geben« fällt ihr die Stelle
aus der Zauberflöte ein:
»Zur Liebe kann ich dich nicht zwingen,
Doch geb ich dir die Freiheit nicht.«
Zu den »Maikäfern« noch die Rede des Käthchens[116]:
»Verliebt ja wie ein Käfer bist du mir.«
Dazwischen Tannhäuser: »Weil du von böser Lust beseelt –«. Sie lebt in Angst und Sorge um
den abwesenden Mann. Die Furcht, daß ihm auf der Reise etwas zustoße, äußert sich in
zahlreichen Phantasien des Tages. Kurz vorher hatte sie in ihren unbewußten Gedanken während
der Analyse eine Klage über seine »Greisenhaftigkeit« gefunden. Der Wunschgedanke, welchen
dieser Traum verhüllt, läßt sich vielleicht am besten erraten, wenn ich erzähle, daß sie mehrere
Tage vor dem Traum plötzlich mitten in ihren Beschäftigungen durch den gegen ihren Mann
gerichteten Imperativ erschreckt wurde: Häng’ dich auf. Es ergab sich, daß sie einige Stunden
vorher irgendwo gelesen hatte, beim Erhängen stelle sich eine kräftige Erektion ein. Es war der
Wunsch nach dieser Erektion, der in dieser schreckenerregenden Verkleidung aus der
Verdrängung wiederkehrte. »Häng’ dich auf« besagte so viel als »Verschaff dir eine Erektion um
jeden Preis«. Die Arsenikpillen des Dr. Jenkins im Nabab gehören hieher; es war der Patientin
aber auch bekannt, daß man das stärkste Aphrodisiakum, Kanthariden, durch Zerquetschen von
Käfern bereitet (sog. spanische Fliegen). Auf diesen Sinn zielt der Hauptbestandteil des
Trauminhalts.
Das Fenster öffnen und schließen ist eine der ständigen Differenzen mit ihrem Manne. Sie selbst
schläft aerophil, der Mann aerophob. Die Mattigkeit ist das Hauptsymptom, über das sie in diesen
Tagen zu klagen hatte.
In allen drei hier mitgeteilten Träumen habe ich durch die Schrift hervorgehoben, wo eines der
Traumelemente in den Traumgedanken wiederkehrt, um die mehrfache Beziehung der ersteren
augenfällig zu machen. Da aber für keinen dieser Träume die Analyse bis zum Ende geführt ist,
verlohnt es sich wohl, auf einen Traum mit ausführlicher mitgeteilter Analyse einzugehen, um die
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin