Page - 1767 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Genitalzone war also einer äußeren Hemmung erlegen und durch deren Einfluß auf eine frühere
Phase prägenitaler Organisation zurückgeworfen worden. Infolge der Unterdrückung der Onanie
nahm das Sexualleben des Knaben sadistisch-analen Charakter an. Er wurde reizbar, quälerisch,
befriedigte sich in solcher Weise an Tieren und Menschen. Sein Hauptobjekt war die geliebte
Nanja, die er zu peinigen verstand, bis sie in Tränen ausbrach. So rächte er sich an ihr für die
erfahrene Abweisung und befriedigte gleichzeitig sein sexuelles Gelüste in der der regressiven
Phase entsprechenden Form. Er begann Grausamkeit gegen kleine Tiere zu üben, Fliegen zu
fangen, um ihnen die Flügel auszureißen, Käfer zu zertreten; in seiner Phantasie liebte er es, auch
große Tiere, Pferde, zu schlagen. Das waren also durchwegs aktive, sadistische Betätigungen;
von den analen Regungen dieser Zeit wird in einem späteren Zusammenhange die Rede sein.
Es ist sehr wertvoll, daß in der Erinnerung des Patienten auch gleichzeitige Phantasien ganz
anderer Art auftauchten, des Inhalts, daß Knaben gezüchtigt und geschlagen wurden, besonders
auf den Penis geschlagen; und für wen diese anonymen Objekte als Prügelknaben dienten, läßt
sich leicht aus anderen Phantasien erraten, die sich ausmalten, wie der Thronfolger in einen
engen Raum eingesperrt und geschlagen wird. Der Thronfolger war offenbar er selbst; der
Sadismus hatte sich also in der Phantasie gegen die eigene Person gewendet und war in
Masochismus umgeschlagen. Das Detail, daß das Geschlechtsglied selbst die Züchtigung
empfing, läßt den Schluß zu, daß bei dieser Umwandlung bereits ein Schuldbewußtsein beteiligt
war, welches sich auf die Onanie berief.
Es blieb in der Analyse kein Zweifel, daß diese passiven Strebungen gleichzeitig oder sehr bald
nach den aktiv-sadistischen aufgetreten waren[74]. Dies entspricht der ungewöhnlich deutlichen,
intensiven und anhaltenden Ambivalenz des Kranken, die sich hier zum erstenmal in der
gleichmäßigen Ausbildung der gegensätzlichen Partialtriebpaare äußerte. Dieses Verhalten blieb
für ihn auch in der Folge ebenso charakteristisch wie der weitere Zug, daß eigentlich keine der
jemals geschaffenen Libidopositionen durch eine spätere völlig aufgehoben wurde. Sie blieb
vielmehr neben allen anderen bestehen und gestattete ihm ein unausgesetztes Schwanken,
welches sich mit dem Erwerb eines fixierten Charakters unvereinbar erwies.
Die masochistischen Strebungen des Knaben leiten zu einem anderen Punkt über, dessen
Erwähnung ich mir aufgespart habe, weil er erst durch die Analyse der nächstfolgenden Phase
seiner Entwicklung sichergestellt werden kann. Ich erwähnte schon, daß er nach der Abweisung
durch die Nanja seine libidinöse Erwartung von ihr löste und eine andere Person als Sexualobjekt
in Aussicht nahm. Diese Person war der damals abwesende Vater. Zu dieser Wahl wurde er
gewiß durch ein Zusammentreffen von Momenten geführt, auch durch zufällige wie die
Erinnerung an die Zerstückelung der Schlange; vor allem aber erneuerte er damit seine erste und
ursprünglichste Objektwahl, die sich dem Narzißmus des kleinen Kindes entsprechend auf dem
Wege der Identifizierung vollzogen hatte. Wir haben schon gehört, daß der Vater sein
bewundertes Vorbild gewesen war, daß er, gefragt, was er werden wollte, zu antworten pflegte:
ein Herr wie der Vater. Dies Identifizierungsobjekt seiner aktiven Strömung wurde nun das
Sexualobjekt einer passiven Strömung in der sadistisch-analen Phase. Es macht den Eindruck, als
hätte ihn die Verführung durch die Schwester in die passive Rolle gedrängt und ihm ein passives
Sexualziel gegeben. Unter dem fortwirkenden Einfluß dieses Erlebnisses beschrieb er nun den
Weg von der Schwester über die Nanja zum Vater, von der passiven Einstellung zum Weib bis zu
der zum Manne und hatte dabei doch die Anknüpfung an seine frühere spontane
Entwicklungsphase gefunden. Der Vater war jetzt wieder sein Objekt, die Identifizierung war der
höheren Entwicklung entsprechend durch Objektwahl abgelöst, die Verwandlung der aktiven in
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin