Page - 2224 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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guter Sinn für die Rede der Gradiva im Traume. Die rote Rose wird dann zum Symbol der
Liebesbeziehung; Hanold versteht, daß die beiden das sind, wozu er und die Gradiva erst werden
sollen, der Eidechsenfang bekommt die Bedeutung des Männerfanges, und die Rede der Gradiva
heißt etwa: Laß mich nur machen, ich verstehe es ebenso gut, mir einen Mann zu gewinnen, wie
dies andere Mädchen.
Warum mußte aber dieses Durchschauen der Absichten der Zoë durchaus in der Form der Rede
des alten Zoologen im Traume erscheinen? Warum die Geschicklichkeit Zoës im Männerfang
durch die des alten Herrn im Eidechsenfang dargestellt werden? Nun, wir haben es leicht, diese
Frage zu beantworten; wir haben längst erraten, daß der Eidechsenfänger kein anderer ist als der
Zoologieprofessor Bertgang, Zoës Vater, der ja auch Hanold kennen muß, so daß sich verstehen
läßt, daß er Hanold wie einen Bekannten anredet. Nehmen wir von neuem an, daß Hanold im
Unbewußten den Professor sofort erkannt habe, »Ihm war’s dunkel, das Gesicht des
Lacertenjägers sei schon einmal, wahrscheinlich in einem der beiden Gasthöfe, an seinen Augen
vorübergegangen« – so erklärt sich die sonderbare Einkleidung des der Zoë beigelegten
Vorsatzes. Sie ist die Tochter des Eidechsenfängers, sie hat diese Geschicklichkeit von ihm.
Die Ersetzung des Eidechsenfängers durch die Gradiva im Trauminhalt ist also die Darstellung
für die im Unbewußten erkannte Beziehung der beiden Personen; die Einführung der »Kollegin«
anstelle des Kollegen Eimer gestattet es dem Traum, das Verständnis ihrer Werbung um den
Mann zum Ausdruck zu bringen. Der Traum hat bisher zwei der Erlebnisse des Tages zu einer
Situation zusammengeschweißt, »verdichtet«, wie wir sagen, um zwei Einsichten, die nicht
bewußt werden durften, einen allerdings sehr unkenntlichen Ausdruck zu verschaffen. Wir
können aber weiter gehen, die Sonderbarkeit des Traumes noch mehr verringern und den Einfluß
auch der anderen Tageserlebnisse auf die Gestaltung des manifesten Traumes nachweisen.
Wir könnten uns unbefriedigt durch die bisherige Auskunft erklären, weshalb gerade die Szene
des Eidechsenfanges zum Kern des Traumes gemacht worden ist, und vermuten, daß noch andere
Elemente in den Traumgedanken für die Auszeichnung der »Eidechse« im manifesten Traum mit
ihrem Einfluß eingetreten sind. Es könnte wirklich leicht so sein. Erinnern wir uns, daß Hanold
einen Spalt in der Mauer entdeckt hatte, an der Stelle, wo ihm die Gradiva zu verschwinden
schien, der »immerhin breit genug war, um eine Gestalt von ungewöhnlicher Schlankheit«
durchschlüpfen zu lassen. Durch diese Wahrnehmung wurde er bei Tag zu einer Abänderung in
seinem Wahn veranlaßt, die Gradiva versinke nicht im Boden, wenn sie seinen Blicken
entschwinde, sondern begebe sich auf diesem Wege in ihre Gruft zurück. In seinem unbewußten
Denken mochte er sich sagen, er habe jetzt die natürliche Erklärung für das überraschende
Verschwinden des Mädchens gefunden. Muß aber nicht das sich durch enge Spalten Zwängen
und das Verschwinden in solchen Spalten an das Benehmen von Lacerten erinnern? Verhält sich
die Gradiva dabei nicht selbst wie ein flinkes Eidechslein? Wir meinen also, diese Entdeckung
des Spaltes in der Mauer habe mitbestimmend auf die Auswahl des Elementes »Eidechse« für
den manifesten Trauminhalt gewirkt, die Eidechsensituation des Traumes vertrete ebensowohl
diesen Eindruck des Tages wie die Begegnung mit dem Zoologen, Zoës Vater.
Und wenn wir nun, kühn geworden, versuchen wollten, auch für das eine noch nicht verwertete
Erlebnis des Tages, die Entdeckung des dritten Albergo »del Sole«, eine Vertretung im
Trauminhalt zu finden? Der Dichter hat diese Episode so ausführlich behandelt und so vielerlei
an sie geknüpft, daß wir uns verwundern müßten, wenn sie allein keinen Beitrag zur
Traumbildung abgegeben hätte. Hanold tritt in dieses Wirtshaus, welches ihm wegen seiner
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin