Page - 2664 - in Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
Image of the Page - 2664 -
Text of the Page - 2664 -
von uns nicht näher gekannten Triebrichtungen, die sich von den auf das Objekt gerichteten
Sexualtrieben abscheiden lassen, und brachten die Ichtriebe in Gegensatz zu den Sexualtrieben,
deren Ausdruck die Libido ist. Späterhin näherten wir uns der Analyse des Ichs und erkannten,
daß auch ein Teil der »Ichtriebe« libidinöser Natur ist, das eigene Ich zum Objekt genommen hat.
Diese narzißtischen Selbsterhaltungstriebe mußten also jetzt den libidinösen Sexualtrieben
zugerechnet werden. Der Gegensatz zwischen Ich- und Sexualtrieben wandelte sich in den
zwischen Ich- und Objekttrieben, beide libidinöser Natur. An seine Stelle trat aber ein neuer
Gegensatz zwischen libidinösen (Ich- und Objekt-)Trieben und anderen, die im Ich zu statuieren
und vielleicht in den Destruktionstrieben aufzuzeigen sind. Die Spekulation wandelt diesen
Gegensatz in den von Lebenstrieben (Eros) und von Todestrieben um.
[73] Soweit vgl.: ›Bemerkungen über den Begriff des Unbewußten‹. Eine neuerliche Wendung in
der Kritik des Unbewußten verdient an dieser Stelle gewürdigt zu werden. Manche Forscher, die
sich der Anerkennung der psychoanalytischen Tatsachen nicht verschließen, das Unbewußte aber
nicht annehmen wollen, schaffen sich eine Auskunft mit Hilfe der unbestrittenen Tatsache, daß
auch das Bewußtsein – als Phänomen – eine große Reihe von Abstufungen der Intensität oder
Deutlichkeit erkennen läßt. So wie es Vorgänge gibt, die sehr lebhaft, grell, greifbar bewußt sind,
so erleben wir auch andere, die nur schwach, kaum eben merklich bewußt sind, und die am
schwächsten bewußten seien eben die, für welche die Psychoanalyse das unpassende Wort
unbewußt gebrauchen wolle. Sie seien aber doch auch bewußt oder »im Bewußtsein« und lassen
sich voll und stark bewußtmachen, wenn man ihnen genug Aufmerksamkeit schenkte.
Soweit die Entscheidung in einer solchen entweder von der Konvention oder von
Gefühlsmomenten abhängigen Frage durch Argumente beeinflußt werden kann, läßt sich hiezu
folgendes bemerken: Der Hinweis auf eine Deutlichkeitsskala der Bewußtheit hat nichts
Verbindliches und nicht mehr Beweiskraft als etwa die analogen Sätze: »Es gibt so viel
Abstufungen der Beleuchtung vom grellsten, blendenden Licht bis zum matten Lichtschimmer,
folglich gibt es überhaupt keine Dunkelheit.« Oder: »Es gibt verschiedene Grade von Vitalität,
folglich gibt es keinen Tod.« Diese Sätze mögen ja in einer gewissen Weise sinnreich sein, aber
sie sind praktisch verwerflich, wie sich herausstellt, wenn man bestimmte Folgerungen von ihnen
ableiten will, zum Beispiel: »also braucht man kein Licht anzustecken«, oder: »also sind alle
Organismen unsterblich«. Ferner erreicht man durch die Subsumierung des Unmerklichen unter
das Bewußte nichts anderes, als daß man sich die einzige unmittelbare Sicherheit verdirbt, die es
im Psychischen überhaupt gibt. Ein Bewußtsein, von dem man nichts weiß, scheint mir doch um
vieles absurder als ein unbewußtes Seelisches. Endlich ist solche Angleichung des Unbemerkten
an das Unbewußte offenbar ohne Rücksicht auf die dynamischen Verhältnisse versucht worden,
welche für die psychoanalytische Auffassung maßgebend waren. Denn zwei Tatsachen werden
dabei vernachlässigt; erstens, daß es sehr schwierig ist, großer Anstrengung bedarf, um einem
solchen Unbemerkten genug Aufmerksamkeit zuzuführen, und zweitens, daß, wenn dies
gelungen ist, das vordem Unbemerkte jetzt nicht vom Bewußtsein erkannt wird, sondern oft
genug ihm völlig fremd, gegensätzlich erscheint und von ihm schroff abgelehnt wird. Der Rekurs
vom Unbewußten auf das wenig Bemerkte und nicht Bemerkte ist also doch nur ein Abkömmling
des Vorurteils, dem die Identität des Psychischen mit dem Bewußten ein für allemal feststeht.
[74] Vgl. Jenseits des Lustprinzips.
[75] S. Jenseits des Lustprinzips.
2664
back to the
book Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)"
Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin