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Voraussetzungen erspart.
[35] Man muß hier der Aufstellung von Moll gedenken, welche den Sexualtrieb in
Kontrektations- und Detumeszenztrieb zerlegt. Kontrektation bedeutet ein Bedürfnis nach
Hautberührung.
[36] Es ist ja auch nicht möglich, den der Erblichkeit gebührenden Anteil richtig zu erkennen, ehe
man den der Kindheit zugehörigen gewürdigt hat.
[37] Die hier niedergeschriebene Behauptung erschien mir selbst nachträglich als so gewagt, daß
ich mir vorsetzte, sie durch nochmalige Durchsicht der Literatur zu prüfen. Das Ergebnis dieser
Überprüfung war, daß ich sie unverändert stehenließ. Die wissenschaftliche Bearbeitung der
leiblichen wie der seelischen Phänomene der Sexualität im Kindesalter befindet sich in den ersten
Anfängen. Ein Autor S. Bell (1902), äußert: »I know of no scientist, who has given a careful
analysis of the emotion as it is seen in the adolescent.« – Somatische Sexualäußerungen aus der
Zeit vor der Pubertät haben nur im Zusammenhange mit Entartungserscheinungen und als
Zeichen von Entartung Aufmerksamkeit gewonnen. – Ein Kapitel über das Liebesleben der
Kinder fehlt in allen Darstellungen der Psychologie dieses Alters, die ich gelesen habe, so in den
bekannten Werken von Preyer, Baldwin (1895), Perez (1886), Strümpell (1899), Karl Groos
(1904), Th. Heller (1904), Sully (1895) und anderen. Den besten Eindruck von dem heutigen
Stande auf diesem Gebiet holt man sich aus der Zeitschrift Die Kinderfehler (von 1896 an). –
Doch gewinnt man die Überzeugung, daß die Existenz der Liebe im Kindesalter nicht mehr
entdeckt zu werden braucht. Perez (1886) tritt für sie ein; bei K. Groos (1899) findet sich als
allgemein bekannt erwähnt, »daß manche Kinder schon sehr früh für sexuelle Regungen
zugänglich sind und dem anderen Geschlecht gegenüber einen Drang nach Berührungen
empfinden« (S. 326); der früheste Fall von Auftreten geschlechtlicher Liebesregungen (sexlove)
in der Beobachtungsreihe von S. Bell (1902) betraf ein Kind in der Mitte des dritten Jahres. –
Vergleiche hiezu noch Havelock Ellis, Das Geschlechtsgefühl (übersetzt von Kurella), 1903,
Appendix, II.
Das obenstehende Urteil über die Literatur der infantilen Sexualität braucht seit dem Erscheinen
des großangelegten Werkes von Stanley Hall (1904) nicht mehr aufrechterhalten zu werden. –
Das rezente Buch von A. Moll (1909) bietet keinen Anlaß zu einer solchen Modifikation. Siehe
dagegen: Bleuler (1908). – Ein Buch von Frau Dr. H. v. Hug-Hellmuth (1913) hat seither dem
vernachlässigten sexuellen Faktor vollauf Rechnung getragen.
[38] Eines der mit den frühesten Kindheitserinnerungen verknüpften Probleme habe ich in einem
Aufsatze ›Über Deckerinnerungen‹ (1899 a) zu lösen versucht. Vgl. Zur Psychopathologie des
Alltagslebens (1901 b), IV. Kap.
[39] Man kann den Mechanismus der Verdrängung nicht verstehen, wenn man nur einen dieser
beiden zusammenwirkenden Vorgänge berücksichtigt. Zum Vergleich möge die Art dienen, wie
der Tourist auf die Spitze der großen Pyramide von Gizeh befördert wird; er wird von der einen
Seite gestoßen, von der anderen Seite gezogen.
[40] Letzteres Material wird durch die berechtigte Erwartung verwertbar, daß die Kinderjahre der
späteren Neurotiker hierin nicht wesentlich, nur in Hinsicht der Intensität und Deutlichkeit, von
denen später Gesunder abweichen dürften.
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Schriften von Sigmund Freud
(1856–1939)
- Title
- Schriften von Sigmund Freud
- Subtitle
- (1856–1939)
- Author
- Sigmund Freud
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 21.6 x 28.0 cm
- Pages
- 2789
- Keywords
- Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
- Categories
- Geisteswissenschaften
- Medizin